Der Citroën Visa war eine viertürige Limousine auf kleinstem Raum
Nein, sagte Jacques Wolkensinger, PR Direktor von Citroën in Paris. Beim neuen Visa handle es sich nicht um ein Peugeot Derivat wie beim LN. Das war 1978, vier Jahre zuvor musste die Doppelwinkel Marke mit Peugeot fusionieren, wobei Fusion die freundliche Umschreibung einer Übernahme war.
Citroën war in eine finanzielle Schräglage geraten und Peugeot hatte jetzt das Sagen. Der Frust bei den Citroën Menschen saß tief, der LN war ein hastig geborener Kleinwagen auf der Basis des Peugeot 104, welcher in der Basis den Motor aus dem 2 CV erhielt. Für viele Citroën Kunden war er eine Enttäuschung. Er stand für schlecht gemachtes Badge Engineering, allein runde Scheinwerfer und ein Einspeichenlenkrad reichten nicht aus, um ein authentisches Citroën Gefühl zu erzeugen.
Mit dem neuen Citroën Visa sollte alles besser werden.

Ist der Visa ein echter Citroën?
Was Jacques Wolkensinger am liebsten verschwiegen hätte, das war der Umstand, dass auch der Visa auf dem 104 aufbaute. Dieses Mal hatte Citroën aber alles richtig gemacht, die Vernunftehe brachte das erste gelungene Produkt auf den Markt. Der neue Kleinwagen füllte die Lücke zwischen LN und GS und er war auf den ersten Blick als legitimer Spross der Pariser Avantgarde zu erkennen.
Der Kühlergrill und die stark abfallende Motorhaube sowie die abgedeckten hinteren Radläufe zitierten das Design der großen Modelle. Neu waren die elastischen, in die Karosserie integrierten Stoßfänger, die auch kleine Rempler im Pariser Stadtverkehr abfangen konnten, ohne Schaden zu nehmen. Das Design war schon in der Prä-Peugeot-Ära entstanden und hatte seinen Ursprung im Prototyp Y (Link), der den 2 CV ersetzen sollte.
Beim Fahrwerk hatten die Citroën Ingenieure nachgebessert. Erstens prinzipiell, denn die Peugeot-Teile konnten nicht gut genug sein. Zweitens, weil man einen Ruf verteidigen musste. Die Operation gelang, der Visa galt als ungeheuer komfortabler Kleinwagen, der auf nur 3,69 Außenlänge vier Türen und Platz für vier Personen anbot. Erstaunlich – und dem innovativen Design zu verdanken.
Unter der Haube arbeitete entweder der Zweizylinder-Boxer, der eine neue Zündanlage erhalten hatte, oder der Reihenvierzylinder von Peugeot, der aber zunächst nur im Visa Super zum Einsatz kam. Nachdem die Ingenieure ihre Hausaufgaben brav erledigt hatte, durften sie sich im Innenraum austoben.

Bediensatelliten im Citroën Visa
Denn ein Citroën ist ein Citroën und durfte das auch sein. Im Cockpit vereinte ein Bedienzylinder, den der Pressetext auch als Satelliten bezeichnete (was viel besser klang), alle wichtigen Funktionen. Er steuerte Scheibenwischer, Blinker, Hupe und Licht und sorgte für ein typisches Markenambiente. Wer die größeren Citroën Modelle kannte, kam damit zurecht. Wer sich als Neuling darauf einließ, der lernte schnell und hielt den Satelliten für gut.
Das Konzept dahinter war genial. Citroën bezeichnete es als PRN Satellit, wobei P für Pluie (Regen), R für Route (Straße) und N für Nuit (Nacht) stand. Mit einem Fingertipp sollten alle Funktionen für den Alltag an einem Platz erreichbar und bedienbar sein.
Die deutsche Motorpresse aber würde sich für immer und ewig daran abarbeiten und die unmögliche Bedienung kritisieren.

Trotzdem fanden die Journalisten den Visa bei seiner ersten Vorstellung, für die Citroën Griechenland ausgewählt hatte, gut. Sie lobten den Sänften-artigen Komfort, die langen Federwege und fanden nur an den Zweizylinder-Motoren etwas auszusetzen. 652 cm³ Hubraum und 36 PS kämpften naturgemäß mit dem Citroën Visa, auch wenn der nur 735 Kilogramm auf die Wage schob. Und natürlich war der Peugeot Vierzylinder mit 50 PS viel kultivierte und laufruhiger als der Boxermotor.
Sieht aus wie ein Citroën, fährt wie einer und ist auch so eigenwillig, wie man es erwartet hat, lautet das Urteil. Der erste Test war erfolgreich absolviert.
Der Visa Kleinwagen war für Citroën eine Gratwanderung. Zwischen typischer Eigenwilligkeit und Peugeot Konzerntechnik musste er seinen Weg finden, der Start war nicht einfach. Aber er wird zum Erfolg. Von 1978 und 88 werden 1.222.608 Fahrzeuge hergestellt, bis 2005 kommen noch einmal 1.181.471 C15 Kastenwagen Versionen (Fourgonnette) dazu.
Dass er später einen Dieselmotor bekommt, heiße Sportmodelle seinen Weg säumen, konnte man 1978 nicht ahnen. Aber das ist auch eine ganz andere Doppelwinkel Geschichte.
Ach ja, der Visa. Ein fast neuer roter Super E war nach der Ente mein zweites Auto, als ich 1981 zum Volontariat von Düsseldorf nach Frankfurt ging. Ich mochte ihn sehr: die riesige Frontscheibe mit nur einem Wischer, der kluge Bediensatellit, der hohe Komfort, der niedrige Verbrauch. Viele Fahrten auf der A3 zwischen beiden Städten, nach Frankreich, die Niederlande, zu viert in die Sommerferien nach Schweden. Wäre nicht die zu lässige Verarbeitung gewesen, die den Spaß teuer machte und letztlich zunehmend nervte. Ein netter Kollege kaufte ihn mir nach nur zwei Jahren ab, wurde aber leider auch nicht froh damit.
Na ja, dachte ich, ein solides schwedisches Auto sollte es werden. Es wurde ein gebrauchter Saab 96 GL V4. Ich mochte ihn sehr, schätzte sein aus der Zeit gefallenes Design, seine Seltenheit, seine Behaglichkeit. Auch aus heutiger Sicht war es mein lausigstes Auto, das mit zahlreichen, unerwarteten Defekten zu überraschen wusste, aber das ist eine andere Geschichte. Erst seit 2010 fahre ich wieder Saab – und das zu recht 😉 Aber der Visa war ein Stück Alltags-Avantgarde, ein individuelles kleines und doch großes Auto.
Mir holen diese wunderbaren Bilder und Hintergrundgeschichten über frühere Citroën, Renault usw. längst verblichene, aber doch irgendwo in den hinteren Kammern meiner Erinnerung gespeicherte Bilder zurück – welche ich damals zwar offenbar sehr wohl zur Kenntnis nahm, aber als Kind und wegen des damals noch nicht erwachten Auto-Interesses gedanklich wieder beiseite legte. Jetzt aber denke ich bei vielen solcher Geschichten: “Ach ja, den kannte ich ja auch, fuhr nicht Herr oder Frau Sowienoch so einen?” Danke für diese schönen Reisen in die eigene Erinnerung! 🙂
Der “Bediensatellit” sieht sehr interessant und designerisch gelungen aus. Aber war er wirklich praktisch und sicher, letzteres auch bzgl. der Hupe? Ich finde immer, die muss in der Mitte auf dem Lenkrad sitzen, damit man in einer Notsituation im Bruchteil von Sekunden ordentlich draufhauen kann – und sie auch findet. Ich fuhr ganz früher manchmal den Ford Sierra meiner Mutter (den sie tatsächlich in einer Verlosung bei Edeka gewonnen hatte :-), vorher R4 und Polo). Der Sierra hatte die Bedienung der Hupe als winziges Knöpfchen an der Spitze des Blinkerhebels. Dieses Knöpfchen konnte man sehr elegant mit dem Ringfinger bedienen, sofern man daran dachte, dass er da ist und ihn dann überhaupt fand. Bei betätigtem Blinker (zB beim Abbiegevorgang oder Spurwechsel) saß die Hupe somit woanders und war nicht schnell auffindbar. Das konnte schon mal schwierig und brenzlig werden.
War das bei dem Satelliten ähnlich diffizil mit der Hupe? Falls ja, bliebe ich doch lieber bei “form follows function”. Bin halt unverbesserlich “saabisiert” …. 😉
Schönes Saab-Wochenende Euch allen! 🙂
Es war einmal ein Auto …
Die märchenhaften Retrospektiven hier machen mir immer wieder schmerzhaft bewusst, wie bunt die europäische Autoindustrie einst war, wie radikal sich die Philosophien von Konstrukteuren und Kunden teils nach Marken und Nationen unterschieden haben.
Es gab in den letzten 20 bis 30 Jahren so viele Autos, bei denen es mir echt schwer fiele, diese noch als typisch deutsch, französisch, schwedisch oder italienisch und natürlich auch typisch britisch zu titulieren …
Geht beim Visa ganz leicht von der Hand. Typisch französisch! Sogar typisch Citroën – trotz Fusion.
Und auf Reisen stellte man fest, dass im europäischen Ausland tatsächlich andere Autos dominierten, als in Deutschland. In Skandinavien, GB, Italien und F hatten BMW, VW, Audi, Opel und Mercedes mit lokalen Kennzeichen den gleichen Seltenheitswert, wie bei uns ein Buckelvolvo, eine SM, ein was auch immer. Echte Exportschlager, die man in großer Zahl quer über den gesamten Kontinent überall im Straßenbild fand, waren noch die Ausnahme. Und es waren vor allem die Klein- und Kleinstwagen, die im europäischen Ausland den nationalen Marken erfolgreich Konkurrenz gemacht hatten. Ab der Mittelklasse aufwärts waren die Käufer weniger preisbewusst und konservativer. Für Reisende ein sehr schöner Nebeneffekt.
War einfach eine geile Zeit. Da macht man Urlaub in Schweden und parkt vorm Bäcker zwischen lauter Saab und Volvos. Da ist man in Frankreich, in GB oder Italien und sieht fast nur Autos jeweils nationaler Marken. Manches Modell in D kaum oder gar nicht present.
Heute parkt man in ganz Europa mit den selben Autos links und rechts vom eigenen. Da kann links ein Kia stehen und rechts ein Suzuki, ein Audi, ein was auch immer. Ich finde das irgendwie schade. Das sind die Automobile. Mit den Immobilien ist es ja auch nicht mehr so weit her. Hier, im relativen Norden Deutschlands, entstehen immer mehr Eigenheime, die stilistisch komplett dislokalisiert sind. Bin da auch schuldig. Skandinavisches Holzhaus? Und der Nachbar stellt sich eine mediterrane, lehmfarbene Villa daneben und Palmen in Kübeln vor die Tür in den gepflasterten Vorgarten …
Der Eine holt den Norden gen Süden, der Andere den Süden gen Norden und dann ärgern sich beide über Wildwuchs und Beliebigkeit – letztlich darüber, dass sich eine Reise nach Norden oder Süden wieder ein wenig weniger lohnt, weil man sich selbst oder der Nachbar viel zu viel Kultur des potentiellen Sehnsuchtsortes bereits in die Heimat geholt hat. Als Haus, als Garten, als Auto und kulinarisch. Und am Sehnsuchtsort fahren die Einheimischen genau so viel Kia, Audi oder Skoda wie auch in D …
Europa wird immer ärmer – ärmer an kulturellen Eigenarten und Diversität. Die Kontaste schrumpfen. Wir werden immer einheitlicher. Eine Annäherung? Vielleicht. Es ist aber auch eine gewisse Vergrauung und Verarmung. Wir diskutieren längst, ob es die beste Pizza der Welt nun in Berlin, Napoli, New York, Stockholm, London oder Asien gibt,
Der Visa steht hingegen für eine Zeit, als typisch französische Autos noch immer aus Frankreich kamen und in F überwiegend französische Autos unterwegs waren. Schon allein das stellt einen gewissen Wert an sich dar. Und sei es nur, dass kulturelle Unterschiede ihren ganz eigenen Reiz haben, uns neugierig aufeinander machen. Das ist doch viel Wert.
Mich schmerzt es jedenfalls etwas, wenn wir heute diskutieren, ob das beste Sushi aus Kalifornien und die beste Pizza aus Tokio kommen, ob das Design vom Volvo XY aus dem Büro in den USA besser, als das vom YX aus dem Büro in China authentisch skandinavisch sei.
Ich bin da raus. Da wird es mir endgültig zu beliebig. Ich bin aber Feuer und Flamme für jegliches Kulturgut, welches ich einem Kulturkreis mit meinem begrenzten Verstand noch zuordnen kann. Und ich bin dankbar, wenn ein Objekt/Produkt es mir so leicht macht, wie dieser durch und durch französische Citroën.
War vermutlich nicht das einzige Auto eines gewissen Zwecks, aber ein sehr authentisches. Authentizität ist heute Mangelware. Beliebigkeit ein Exportschlager. Ein Restaurant für japanische Pizza habe ich längst entdeckt. Ich werde mich diesem hartnäckig verweigern!
Toll geschrieben! Ich erkenne mich fast in jedem Satz wider.
Der Visa I war ganz schön schräg und alles, aber nicht schön 😉
Ich habe aber das Geräusch der Boxermotoren im Ohr, wenn ich jetzt den Text lese. Das ist wieder mal eine Zeitreise zurück in die ganz frühe Kindheit. Danke dafür!
Sehr interessant! Vor SAAB sind wir in der Familie lange Citroën gefahren. Ich habe das Design, die kernigen Boxermotoren und später V6 Sauger, die extravagante Bedienung immer als toll empfunden. Unser erster – ein GSA – hatte damals zwei der Bediensatelliten (recht und links vom Lenkrad) Ich fand die großartig und habe mich gewundert das die kein anderer Hersteller nachmacht. Das Mäusekino und Lupentacho empfand ich damals auch toll.
Der Visa war allerdings nie mein Fall.
Leider ging das schöne Design der großen Modelle die letzten Jahre verloren.
Irgendwie schade!
Kann es Zufall sein, oder ist es eine logische Folge? Ich denke letzteres.
Citroën, Lancia und natürlich Saab, meine drei „Autolieben“ werden auf dem Blog mehr und mehr zum Thema. Gut so, mir gefällt es außerordentlich!
Ich bin mit Citroën groß geworden, bis zu einem CX war alles vertreten . Ich begann dann, klar, mit Citroën, ging über zu Lancia Delta und kam dann irgendwann bei Saab an ( dazwischen gab es noch einen großen Volvo Kombi, wegen den Kindern ).
Wie gesagt, für mich eine logische Folge. Citroën, Saab und Lancia sind für mich auf einer Linie.
Mit Lancia kann ich es nicht sagen, aber mit Citroën gibt es sicher Parallelen. Wir haben/hatten auch immer mal wieder einen Citroën in der Familie, aktuellere Modelle halt. Es gibt da offensichtlich eine Verbindung mit Saab, wahrscheinlich weil beide Marken niemals 100 % Mainstream waren.
…hab mich gestern nicht getraut was zu schreiben, mein erster Gedanke war “Citroen kann auch häßlich” , skurril trifft es aber besser!
Man darf hier (fast) alles schreiben 😉
Aber skurril trifft es. Die erste Überarbeitung, um den Visa kompatibel für die Mehrheit zu machen, kam dann auch schnell!
Da ich mich damals zwischen zwei sehr skurrilen Automobilen nicht entscheiden konnte, gab es das erste persönliche Autoduell meines Lebens: Talbot Samba Cabrio gegen Citroën Visa Plein Air. Der Samba gewann. Es mag zum einen an einer seltsamen Talbot-Tradition in meiner Familie liegen – ja, auch der Tagora war dabei. Zum anderen war es das gefühlt „bessere Auto“. Unverschämt charmant fand ich sie beide. Vor allem im direktem Vergleich mit den damaligen Kleinwagen.