Ein Mann, ein Hund und unendliche Weiten
November. Die Tage sind kürzer geworden, die Temperaturen merklich niedriger. In der Luft liegt der Novemberblues. Die sozialen Kontakte sind reduziert, Restaurants und Cafés bleiben geschlossen. Wohnt man wie ich auf dem Land, dann sind es zusätzlich die nachbarlichen Gespräche über den Zaun, die weniger werden.

Die Grundstücke sind recht groß, die Abstände zwischen den Häusern üppig bemessen. Da kann es vorkommen, dass man tagelang niemanden sieht. Das geht irgendwann an die Substanz. Es nagt an der Psyche. Nicht so sehr, dass man auf das Essen im Restaurant verzichten muss. Oder sich nicht mit Freunden zum Kaffee trifft.
Es liegt wie Blei in der Luft
Sondern die Situation prinzipiell. Die ewige Vorsicht, das Einhalten von Abständen. Die Disziplin, mit der man auf Hygieneregeln achtet. Schon aus Selbstschutz. Lockdown 1.0 war noch spielerischer. Eine neue Erfahrung, gemischt mit Neugierde und etwas Abenteuer.
Lockdown 2.0 ist dunkler, härter, liegt wie Blei in der Luft und über dem Land. Das hat mit dem kommenden Winter zu tun, mit dem Novemberblues, den man jedes Jahr mehr oder minder hat. Was hilft ist Laufen. Raus in die Natur, wann immer es geht. Bei jedem Wetter und unabhängig von der Tageszeit.

Ich mag das Laufen am frühen Abend. Wenn die Dämmerung kommt, der Nebel aus den Tälern in die Höhen kriecht. Es ist die ruhige Zeit. Die meisten Spaziergänger sind verschwunden, sind zu Hause in ihren warmen Wohnungen. Dann hat man die Welt fast für sich alleine. Ein Mann, ein Hund und unendliche Weiten.
Den Novemberblues vertreiben
Laufen hilft. Macht den Kopf frei und rückt den Novemberblues zurecht. Unsere Zeit ist alles andere als einfach. Das ist klar. Soziale Kontakte kann man nicht auf Dauer zurückfahren. Der Mensch ist ein Herdentier. Alleine mit sich sein, das können nur die Allerwenigsten.
Dazu kommen vielleicht wirtschaftliche Ängste, Sorgen um Gesundheit und um Freunde und Familie. Irgendwann erwischt man sich dabei, dass man Nachts von Masken und Mindestabständen geträumt hat.

Um gut durch die Zeit zu kommen, ist es hilfreich zu erkennen, was man hat. So gut wie jeder Mensch hatte schon dunkle Momente im Leben, die schwerer waren als das, was wir heute durchstehen müssen. Die persönlichen Herausforderungen, das Gefühl am Abgrund zu stehen.
Es ist genau 10 Jahre her, da hatte ich einen solchen Moment. Ich lag im Krankenhaus. Eine schwere Operation hinter mir, eine umfassende Tortur vor mir. Keine tollen Aussichten. Gepaart mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Am Morgen, wenn langsam der Tag die Nacht vertrieb, konnte ich von meinem Bett aus Arbeiter auf dem Dach des gegenüberliegenden Gebäudes beobachten.

Es dämmerte gerade, da waren sie bereits vor Ort. Draußen war es kalt, es war zugig. November in Oberfranken, der härter und rauer ist als am klimatisch verwöhnten Untermain. Die Arbeiter, sie kamen wahrscheinlich vom Balkan oder aus östlichen Staaten, sanierten das gegenüberliegende Dach. Ein Knochenjob und keinen, den man wirklich gerne machen will.
In diesen Tagen damals für mich der beste Arbeitsplatz der Welt. Denn ich hätte alles gegeben, hätte ich die Station verlassen und das alte, marode Dach sanieren können.
Und heute?
Naja, meine privaten Kontakte sind eingeschränkt. Essen gehen, in der Kneipe treffen, Kaffee trinken. Alles ist obsolet. Aber ich bin frei. Ein Mann, ein Hund und unendliche Weiten. In der Dämmerung auf dem Land, da wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Und das ist so gesehen schon sagenhaft gut.
Provinz versus Großstadt (@ Bergsaab),
wir können froh sein, dass es Großstädte und Menschen gibt, die gar nicht anders Leben wollen. Kulturell, wissen- und wirtschaftlich wären wir ohne Ballungsräume eben auch nur provinziell …
Und es ist in D mit 233 Einwohnern je qkm unabdingbar, Menschen übereinander zu stapeln. Das sind nämlich nur knapp 4.292 qm pro Kopf. Kenne Leute, die mehr haben. Rein privat.
Es sind die gestapelten Städter, die uns den Platz für alles lassen, was wir zwingend brauchen – sei es Infrastruktur, Wirtschaft oder Natur. Man kann diesen Lebensstil für sich persönlich ablehnen (das tue ich auch), sollte dabei aber im Kopf haben, dass die Provinz, in der man sellber lebt, ohne Stadt und Städter ziemlich dicht besiedelt und der Natur komplett beraubt wäre …
Hallo Tom,
Sehr schöne Bilder, sehr einfühlsam, positiv sentimental geschrieben, sehr privat und doch
kann sich jeder damit identifizieren, weil er Ähnliches erlebt hat. Es hilft, aus der
Erfahrung zu wissen, dass sich das Leben immer wieder verändert. Es hilft auch,
kleine Dinge wieder wertschätzen zu können. Es hilft, die schönen Seiten des
bisherigen Lebens wieder in Erinnerung zu rufen.
Ja nach langem schönreden der verdichteten Großstadt lernen wir wieder die Vorzüge der Provinz zu schätzen!
Einfühlsam geschrieben und stimmige Bilder dazu!
Ich habe einige Jahre in Afrika gelebt, Ghana und Kenia, machmal recht einsam, ein Hund war immer mit dabei!
Sind einfach urtreue Begleiter.
Hallo Tom,
gut das wir ins Freie können und dort Laufen oder Spazieren gehen können! Möchte nicht in der verbauten Großstadt wohnen. Die Zeit ohne soziale Kontakte wird auch vorüber gehen!
Lg,
Charles