Rüsselsheim wirbt um junge Käufer – der Opel Kadett City J
Eigentlich war das Jahr 1976 ein gutes für Opel. Erstmals verbuchte die Marke mit dem Blitz einen Marktanteil von mehr als 20 %. Außerdem hatten die Rüsselsheimer Wolfsburg als Marktführer abgelöst. Und selbst gegen den Angstgegner VW Golf glaubte man mit dem Opel Kadett City ein wirksames Gegenmittel gefunden zu haben.
Tatsächlich schien das nur auf den ersten Blick so, dass sich der Opel Blitz im Erfolg sonnte. Die Statistik zeigte, dass VW junge Käufer in Massen zum Golf zog, und dass der City Kadett nur optisch gegen den Golf einen Stich machen konnte. Denn mit einem längs – statt quer – eingebauten Motor und dem Hinterradantrieb hatte er schon konzeptionell gegen den Kompakten vom Mittellandkanal keine Chance.
Um die jugendliche Käuferschicht zu begeistern, setzte Opel auf die Formel J. Eine brillante Idee, und ein leider zynisches Spiel mit der Sicherheit aus alten Tagen.

Opel Kadett City J
Manchmal scheinen Autohersteller alles richtig zu machen. Im Fall Opel wurde aus dem veralteten, biederen Kadett mit dem City Kompaktmodell ein fast modern anmutender Beitrag für die Kompaktklasse. Um dem City den letzten Anschein der Betulichkeit zu nehmen, griffen die Opel Designer zu bewährten Mitteln.
Statt mit Chromschmuck rollte der City Kadett J mit schwarzen Zierteilen vor, was sofort einen sportlichen und frischeren Eindruck hinterließ. Die Ausstattung wurde angereichert und war im direkten Vergleich zu den knausrigen Marktbegleitern aus Wolfsburg fast großzügig. Dazu wurde der Preis tiefer gelegt und die Werbung verjüngt.
1976, ein Jahr nach der Vorstellung des Kadett City, wirbt Opel mit einer jungen Frau mit angesagter Föhnfrisur, die ein nach Marketingeinschätzung pfiffiges T-Shirt trägt. Bedauerlicherweise gäbe es das Shirt nicht in den heißesten Boutiquen, sondern eben nur beim Opel Händler. Wie auch das hochaktuelle Blouson. Und auch das Auto dazu.
Ob die anvisierte Kundschaft das Shirt ebenfalls heiß fand, ist nicht überliefert. Aber die Zielgruppe wurde klar und ziemlich gnadenlos adressiert.
Interessant ist auch, dass sich Opel das Lifestyle-Image, das man selbst hinter dem Kadett City vermutete, extra bezahlen ließ. Der konventionelle Kadett, mit Stufenheck und zwei Türen, ist günstiger zu haben als das kompaktere Fließheck.

Das zynische Opel Spiel mit der Sicherheit
In der Opel Kadett City Werbung spielte auch Marketing hinein, das ziemlich zynisch war. Opel warb mit einer Verbundglas-Frontscheibe ohne Mehrpreis. Auf Wunsch! Was toll klang, entpuppte sich Monate später als reiner Zynismus. Tatsächlich war es so, dass die Verbundglasscheiben im Einkauf viel teurer als herkömmliches Glas waren, das Opel im Normalfall verbaute.
Wie Opel später zugab, setzte der Hersteller auf die Naivität der Kunden, die den Vorteil nicht erkennen würden. Opel wirbt, hat gute Presse, aber kaum Kosten. So war die Idee. Doch die Marketingabteilung hatte die Rechnung ohne die Kunden gemacht.
Die Käufer zeigten sich erstaunlich aufgeklärt. Sie wussten, dass normales Glas scharfkantig und im Verlauf eines Unfalls sogar tödlich sein könnte. Wo Sicherheitsglas in kleine Teile zerfällt, lauert hier eine echte Gefahr.
Die Opel Kunden bestellten ohne Aufpreis durch die Bank das Sicherheitsglas, das zuvor nur optional und gegen Zuzahlung zu haben war. In der Rüsselsheimer Kostenrechnung entstand ein dicker Fehlbetrag, Opel zog die Kampagne zurück und schwenkte wieder auf die Aufpreisstrategie ein.
Die Motorpresse bekam davon Wind, und jetzt hatte die Marke mit dem Blitz den Ruf weg, zynisch und kleinlich mit der Sicherheit der Kunden zu spielen. Denn in den 70er Jahren wurde das Sicherheitsglas verstärkt zum Standard der Marktbegleiter, aber Opel schien in der Öffentlichkeit zu knausrig zu sein, um es in allen Fahrzeugen einzuführen.
Profitstreben vor Sicherheit – der Schaden war enorm, und nur ein Jahr später hatte die Marke die Marktführerschaft wieder an Volkswagen abgegeben.
– Fortsetzung folgt –
Mein Vater hat unserer Mutter 1979 einen City J als Nachfolger der legendären R4 geschenkt. Muß ihn mal fragen, ob er seine Frau gerne noch jünger gesehen hätte und die Werbung ernst nahm. Mein Bruder und ich haben dann 2 Jahre Fahrerfahrung in der Kiste gemacht und sind beide ahnungslos auf Volvo 144 und Saab 99 umgestiegen. War aber dennoch ne coole Karre.
Marketing kann manchmal in die falsche Richtung losgehen. Bitter.
Wieder was gelernt …
Als jemand, dessen früheste, automobile Kindheitserinnerung des Vaters Volvo von 1972 ist, wäre ich nie und nimmer auf die Idee gekommen, dass konventionelles Glas 1976 noch zulassungsfähig gewesen sein könnte …
P.S.
Ist das wirklich so? Ich kann es kaum glauben. Es gab ja nicht nur Verbundglas.
Es gab Sicherheitsglas, das so gegossen, gezogen, gebogen, gewalzt und getempert war, dass es stumpf zerbröselt ist. Die Seitenfenster vom Volvo waren auch kein Verbundglas. Ich habe als Kind mal eins kaputt gemacht. War aber Sicherheits- und kein Fensterglas. Hat Opel 1976 wirklich noch immer konventionelles Glas und potentiell scharfe Splitter ausgerechnet als Windschutzscheibe verbaut und das auch gedurft?
Klingt für mich eher nach den 1930er bis 1950er Jahren, nach Brezelfenstern und split screen …
Das war so, denn die Geschichte hat noch eine persönliche, tragische Komponente. Einer meiner Cousins fuhr einen Kadett City, ohne das J. Als Fahranfänger, und erstes Auto. Er verunglückte schwer und der Opel hatte eine normale Frontscheibe. Ob er sein Augenlicht behalten würde stand für einige Tage auf Messers Schneide – zum Glück ging alles gut aus. Einen Opel hat er sich nie mehr gekauft.
Au Mann,
das ist echt harter Tobak und historisch faszinierend und verstörend zugleich …
Fensterglas aus Rüsselsheim mit dem Segen von TÜV und Politik? 1976! Wer hätte das gedacht?
Ich bin jetzt etwas platt. Ich hatte in einem Schweden echt eine wohlbehütete Kindheit und Jugend. Ich dachte, das meiste sei alles normal gewesen …
Mir war durchaus bewusst, dass die Schweden in Sachen Sicherheit gerne vorgeritten sind. Aber Fensterglas als Windschutzscheibe? Echt krass …
Wie gesagt, wieder was gelernt.
Wie hielten es die Mitbewerber? Gab es den Golf etwa auch mit Fensterglas?
Oh, so alt um das zweifelsfrei beantworten zu können bin ich dann doch nicht. Ich erinnere mich nur, dass es bei Käfer und Co bei Onkeln und Tanten mal ein Thema war.
Ich hatte auf Youtube einige Folgen “Automobile Ärgernisse” gefunden, in einer davon wird von der Verbundglasscheibe berichtet: https://www.youtube.com/watch?v=JaRrs–GH5c
Ab Minute 5. Betrachtete Fahrzeuge: Käfer und Golf I.