Manuelle Schaltung – eine aussterbende Spezies

Mit der Umstellung auf E-Mobilität ändert sich nicht nur die Antriebsart. Die manuelle Schaltung wird der Vergangenheit angehören, sie ist reif für den Einzug in das Museum. Schon länger befindet sie sich auf dem Rückzug. Moderne Assistenzsysteme vertragen sich besser mit automatischen Getrieben. Der selbst eingreifende Mensch ist ein Störfaktor, den man lieber draußen hält.

Viel Plastik in den Schaltwegen im 9-3 II
Viel Plastik in den Schaltwegen im 9-3 II

Ewig lange gab es Stammtischgespräche, wie man zu schalten hat. Die Fraktion der Sportfahrer verteidigte den manuellen Schaltvorgang mit aller Härte, auch wenn es in den letzten Jahren stets schwieriger wurde Argumente zu finden. Längst schalten Automaten besser und schneller als der Mensch. Zu allem Übel gehen sie auch noch geiziger mit Kraftstoff um.

Im Elektroauto braucht man kein manuelles Getriebe. Drehmoment und Drehzahl reichen bis in eine gefühlte Unendlichkeit. Ein Getriebe mit einem oder zwei Gängen ist Standard. Sind es tatsächlich zwei, dann erfolgt der Schaltvorgang natürlich voll automatisch. Keiner wird der manuellen Schaltung hinterher weinen, zumindest nicht im E-Auto.

Konsequenzen für kommende Generationen

Wie lange werden Fahrschulen noch mit manuellen Getrieben schulen? Das Ende ist absehbar, es könnte spätestens 2030 kommen. Dann könnten neue Verbrenner auch in Deutschland verboten sein, in anderen Ländern sind sie es bereits. Auch die Flut an Assistenzsystemen bläst der manuellen Schaltung das Licht aus.

Irgendwann kommt dann eine Generation von Fahrern auf die Straße, die eine manuelle Schaltung nicht kennen und sie auch nicht fahren dürfen. Für Oldtimer und Klassiker eine Entwicklung mit fatalen Folgen.

Nicht lustig, die Schaltung im Saab 99
Nicht lustig, die Schaltung im Saab 99

Was wird aus den Sportwagen von früher? Wo bleiben die alten Porsche 911, die vorwiegend manuell geschaltet wurden, weil die 4-Gang Automatik in den entsprechenden Kreisen verpönt war? Welche Auswirkungen hat es auf die britischen Roadster, die mit der knochenharten, präzisen Schaltung. Diese Klassiker mit Herz, die immer Freude machten?

Manuelle Schaltung – da war mal was

Vielleicht werden sie unverkäuflich, selbst wenn sie klimaneutral mit einem alternativen Kraftstoff unterwegs sein könnten. Weil ab einem gewissen Punkt eben kein junger Mensch mehr damit fahren kann, der Gesetzgeber ein Zusatzschulung verlangt, oder das Aussterben wohlwollend geschehen lassen könnte.

1986 - auch keine Freude mit dem 900 Getrieben
1986 – auch keine Freude mit dem 900 Getrieben

Tatsache ist, der Mensch verliert immer mehr Fähigkeiten, die er einmal hatte. Assistenz und Navigationssysteme machen die Orientierungsfähigkeit, in Jahrtausenden erworben, überflüssig. Das Gefühl für Fahrphysik, vor 20, 30 Jahren enorm wichtig, braucht man auch nicht mehr. Seit der Einführung von ESP regelt der Computer alles. Zumindest so lange, bis die Physik dann doch die Oberhand gewinnt. Und das Fahrzeug, zur Verblüffung des Fahrenden, im Graben landet.

Bei Saab war die Geschichte mit der manuellen Schaltung nie das große Ruhmesblatt. Von Qualitäten wie sie einst BMW, Alfa Romeo oder Porsche lieferte, waren die Schweden immer weit entfernt. Die Getriebe in Saab 99 und 900 waren stets furchtbar zu schalten. Unpräzise, unmotiviert, alleine die starken Turbo Motoren machten das wett.

Ausreichend präzise manuelle Schaltung im Saab 9-3 I
Ausreichend präzise manuelle Schaltung im Saab 9-3 I

Die letzte Rache aus Detroit

Richtig gut zu schalten waren die Getriebe nur im Saab 9000, immerhin akzeptabel, mit leichter Spaß Tendenz, im 9-3 I, 900 II und 9-5 I. Beim 9-3 II war einfach zu viel Kunststoff im Schaltgestänge verbaut, als dass Spaß hätte aufkommen können. Und letztendlich, beim Saab 9-5 NG, schloss sich der Kreis wieder. Das Schaltgetriebe war die letzte Rache von GM, nicht umsonst bevorzugen Käufer das automatische Getriebe, was sich auch bei den Preisen gebrauchter Exemplare bemerkbar macht.

Landen Fahrzeuge mit manuellem Getriebe im Museum, oder haben sie langfristig eine Chance als Veteranen bewegt zu werden? Es liegt am Gesetzgeber, ob er automobilen Kulturgut eine Chance geben wird. Immerhin bietet dieser seit dem 1. April (!) 2021 die Option einer Zusatzschulung an.

10 Stunden à 45 Minuten mehr in der Praxis auf einem Schaltfahrzeug – verbunden mit einem 15 minütiger Zusatztest genügen, auch wenn man die Fahrausbildung auf einem Automatikfahrzeug absolviert hat. Aus der Schlüsselzahl 78 des Klasse B Führerscheins wird dann die Zahl 178 und man ist zum Führen eines manuell geschalteten Fahrzeugs berechtigt. Auch Besitzer eines Automatikführerscheins können sich nachträglich schulen lassen und den Führerschein umändern.

Wird das ausreichen, um die manuelle Schaltung vor dem Aussterben zu retten? Vermutlich nicht.

11 thoughts on “Manuelle Schaltung – eine aussterbende Spezies

  • 3 von 5 Kfz im Familienbesitz sind Automaten, das ist schon angenehm, aber schalten macht auch Spaß. Besonders der T3-Bus ist eine Zeitreise wenn mal wieder alles von Hand gemacht werden muß (bis hin zum Fensterheber) da hab ich meine Sohn auch drauf üben lassen für die Fahrschule, da ist der 9000er dann entspannung für ihn.

    Mit dem ESP hab ich auch so meine Erfahrung gemacht. Im 9-5NG merkt man ja gar nichts, der 9-7x ist entweder langsamer oder das ESP greift bewust später ein. Da wackelt schon mal der Wagen ehe man merkt das die Elektronik eingreift. Das finde ich persönlich ganz gut weil man damit noch mal eine Rückmeldung bekommt und sich dann seines Fahrfehlers bewusst wird.

    • Da hat Ihr Sohn viel gelernt …

      Ich bin selber sowas von froh, auf assistenzfreien PKW und KRAD gelernt zu haben. Und ich frische das heute gerne immer wieder auf. Nehme meinen Oldtimer oder schalte ESP im 9-5 (OG) gerne mal ab, um Eindruck von den Fahrbahnverhältnissen zu gewinnen.
      Ansonsten stempelt der nur kurz beim Anfahren und beschleunigt dann langsamer. Mein Oldtimer liefert mir selbst im 3. Gang noch durchdrehende Reifen auf Asphalt – wenn etwa Staub und Regen einen Schmierfilm bilden. Die nächste Kurve nimmt man dann mit der gebotenen Vorsicht. Ich mag diese Fahrbahninformationen, die man auf gerader Strecke beim Beschleunigen so völlig gefahrlos sammeln kann. Das geht sogar mit dem Motorrad. Die haben heute ja auch immer mehr Assistenzen. Ob man Fahrbahn und Kurven noch richtig einschätzen kann, nachdem man mit einer Anti-Schlupf-Assistenz zügig auf sie zugefahren ist, sei dahingestellt …

  • Ja, Tom,
    und wieviele Stunden mehr für ein Fahrzeug mit Lenkrad.- oder Krückstockschaltung ?
    Sende 96 Grüße

    • Krückstock Schaltung im 2CV, einfach genial! Wenn man die mal in der “Hand” hatte gab es nichts einfacheres.

  • Was für Gedankengänge bietet Tom uns da an! Ganz toll! Bald schon kann keiner mehr die Schalter Autos fahren!?
    Ich bewege mich doch öfters in der Oldtimer Szene und dort bemerkt man schon seit einer geraumen Zeit, dass die schweren und teuren Vorkriegsfahrzeuge in den Preisen stagnieren oder auch rückläufig sind. Ein Grund ist eben auch, das solche Fahrzeuge fast niemand mehr bedienen kann. Wer kennt sich noch aus mit der manuellen Zündverstellung? Oder mit einem Vorlegergetriebe, teilweise aussen geschaltet?

    Ich fahre seit einiger Zeit einen Lancia Appia aus dem Jahre 1960. Es ist schon ein gewaltiger Unterschied nur schon zum Fulvia mit Baujahr 1972, geschweige denn zu den Saab mit Baujahr 1999 und 2004.
    Man muss einfach sehr vorausschauend fahren, denn Bremsen und Fahrwerk sind einfach so wie sie damals waren, nämlich doch etwas schwieriger zu beherschen als heute! Spass macht es aber immer noch! Ob aber das jemand im Jahre 2030 oder 35 noch toll findet? Ich denke eher nicht.
    Es ist eben so wie es ist: all things must pass……

  • Der einzige gut schaltbare Saab in meiner Garage ist der Og 9/5 aero bj 2000 . Der viggen geht so
    Dzt bin ich in Griechenland und fahre einen versiifften Kia Leihwagen. 6 Gang Getriebe , Schaltknüppel mit einem Finger führbar , unglaublich präzise und Gänge flutschen fast von alleine in die Gasse
    Dagegen sind meine Saab Stoneage .

  • Am Puls der Zeit

    Finde es großartig, wie Tom seine Themen setzt. Rückspiegel trifft es allerdings gar nicht so richtig, wenn der Autor so gerne vorausdenkt.

    Bei mir keimten zufällig in letzter Zeit ähnliche Gedanken, alles noch zarte Pflanzen inmitten von Unkraut. Und ZACK ist da ein Artikel, der durchdacht und ausformuliert alles ordnet. Das ist großes Kino.

  • Ich habe gerade bewusst in einen Schalter investiert. Die Automatik der ersten XC 90-Serie bereitet des Öfteren Ärger. Außerdem ist eine Reparatur oder Revision nicht gerade günstig.
    Bei diesem Kauf kommen tatsächlich zwei aufstrebende Komponenten zusammen: Schaltgetriebe und Diesel.

  • Zehn Stunden zu je 45 Minuten Training für die manuelle Schaltung. Ich bin beeindruckt und würde mir gerne ansehen, was die da machen.

    Vor genau 25 Jahren habe ich den Führerschein in Flensburg erworben. Neben Rechtsfahrgebot (vielfach vergessen von den unzähligen Mittefahrern) und der nicht verkehrsbehindernden Nutzung des Verzögerungsstreifens auf Autobahnen war die manuelle Schaltung natürlich auch Unterrichtsinhalt; beiläufig. Schaltschema, hören und fühlen, wann der nächste Gang eingelegt werden soll (nach oben und unten) und die Ausnutzung der Gänge auf dem Beschleunigungsstreifen der Autobahn. “Gaspedal durchtreten, und Du schaltest nicht eher in den Vierten als bis die Tachonadel 90 zeigt!”

    Ich würde bei diesem Training gerne mal hinten mit drinsitzen. Vielleicht lerne ich ja noch was dazu.

    • Das Land ist überreguliert, keine Frage. Es gab mal eine Zeit, da konnte man mit viel Glück mit 10 Stunden einen kompletten Führerschein erwerben.

      • Und dann noch etwas früher machte ich die Fahrprüfung ohne Fahrstunden beim Fahrlehrer!
        Mein Vater hatte die Nerven und die Erfahrung mich prüfungsreif zu machen.
        So geschehen in der Schweiz 1972. Der Prüfungsexperte liess mich fast 2 Stunden fahren und sagte dann am Schluss; sie können es, ich muss ihnen den Ausweis geben.
        Tempi passati.

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