Der verschollene Saab 9-5 NG Sportkombi #36

Saab – der Stoff,  aus dem die Legenden sind. Ein weiteres Kapitel der nicht enden wollenden Saga fügt der verschollene Saab 9-5 NG Sportkombi #36 hinzu. Eines dieser Fahrzeuge aus der Vorserie, die es eigentlich nicht mehr geben sollte. Bezugnehmend auf schwedische Quellen wurde der Saab verschrottet. Damit endet im Normalfall jedes Autoleben unwiderruflich. Es sein denn, bei dem Auto handelt es sich um einen Saab. Und manche Dinge sind eben ganz anders,  als es die Aktenlage darstellt.

Saab 9-5 NG Sportkombi #36, der Verschollene
Saab 9-5 NG Sportkombi #36, der Verschollene

Der Verbleib einiger Vorserien-Fahrzeuge von Saab ist auch heute noch nicht geklärt. Auch der 9-5 NG Sportkombi mit der VIN YS3GR5NK6C4000036 galt für lange Zeit als verschollen. Niemand schien um seinen Verbleib zu wissen – auch weil die wenigen Eingeweihten schwiegen. Nicht ohne einen triftigen Grund, denn die Insolvenzverwalter versuchten das Überleben der letzten Fahrzeuge zu verhindern und verschrotteten alle Fahrzeuge, deren sie habhaft werden konnten. Die Karosserie wurde dafür in 4 Teile zerschnitten, um eine spätere Rekonstruktion zu verhindern. Einer dieser “Todeskandidaten” auf der Liste war der Sportkombi #36. Nach unseren Informationen wurde er nicht nur einmal, sondern zweimal als verschrottet gemeldet. Virtuell, denn das Fahrzeug befand sich zu keinem dieser Zeitpunkte in Schweden.

Millbrook Proving Ground

Die Geschichte des seltenen Saabs ist recht einfach und schnell erzählt – und doch irgendwie unglaublich. 2011 verließ Nummer 36 die skandinavische Heimat und kam zur Serien-Erprobung nach Bedfordshire. Millbrook Proving Ground war eine der größten Testeinrichtungen von GM in Europa. Sie blickte damals schon auf eine wechselvolle Geschichte zurück. 1968 eröffnet war sie ein Testzentrum für Vauxhall und die legendären Bedford Trucks. 1986, GM hatte keine Lust mehr auf Bedford, übernahm Lotus, damals noch Teil des Konzerns, und öffnete Millbrook auch für andere Marken. In den 90er Jahren waren die Amerikaner dann auch gelangweilt von Lotus, verstießen die Marke, und machten aus dem Testgelände ein eigenständiges Unternehmen in der GM Gruppe. 2013, die große Flucht aus Europa setzte ein, übernahm Ruthland Partners, 2016 wurde Millbrook an Spectris weiter verkauft.

2012, nach dem Ende in Trollhättan, sammelten die Insolvenzverwalter Fahrzeuge ein. Weltweit, aus jedem Winkel des Planeten, flogen Prototypen zurück nach Schweden. Manche wurden versteigert, viele leider vernichtet. Kombi Nummer 36 aber verblieb als Pfand im Besitz von GM. Das dürfte ihn gerettet haben. Er wurde vergessen, die Schweden tilgten ihn aus den Akten und ließen ihn offiziell verschrotten. In Millbrook zählte er irgendwann zum Inventar, und so überlebte er in England acht lange Jahre und unglaubliche zwei Besitzerwechsel. Das Fahrzeug wurde immer maßvoll bewegt und nicht schlecht behandelt. Es muss auf dem Prüfgelände aufgefallen sein, denn ein kleiner Kreis von Menschen wusste stets um seine Existenz.

Zu Besuch in Kiel, da parkt #36. Ich bekomme "Schreibverbot"
Zu Besuch in Kiel, da parkt #36. Ich bekomme “Schreibverbot”

Es gab vereinzelte Versuche,  ihn “freizukaufen”, die aber regelmäßig scheiterten. Bis im Jahr 2019, als dann ein schwedischer Fan ihn zu einem nicht genannten Preis erwerben konnte. Nummer 36 machte sich auf den Weg nach Hause. Zurück nach Schweden, nicht ohne zuvor einen Stopp in Kiel einzulegen. Wo ich ihn dann sah, seine Geschichte erfuhr, aber darüber nicht schreiben durfte.

Saab 9-5 NG Sportkombi #36 zurück in Schweden

Denn zu diesem Zeitpunkt war noch äußerst unsicher, wie man ein verschollenes Fahrzeug zurück in den Verkehr bringen könnte. Vor allem dann, wenn es offiziell als verschrottet gelistet ist. Nach Wochen intensiver Arbeit gelang es Markus Lafrentz und seiner Mannschaft,  mit viel Diplomatie und langjähriger Erfahrung die Aktenlage zu bereinigen und den Sportkombi #36 fertig für die Zulassung zu machen.

Mittlerweile ist der 9-5 zurück in seiner alten Heimat, die er vor rund 8 Jahren verlassen hatte. Er hat schwedische Papiere erhalten und ist in guten, fürsorglichen Händen. Was genau verbirgt sich hinter Nummer 36? Sie ist ein Stück Historie, nicht nur, weil sie der Saab Saga ein weiteres Kapitel hinzufügt. Außerdem dokumentiert sie mit ihrer Ausstattung, dass bei den letzten Aktivitäten des dramatischen Jahres 2011 in der Stallbacka einfach alles verbaut wurde, was irgendwie zu greifen war.

Saab 9-5 NG Sportkombi #36 ist ein Aero TTiD XWD. Wirklich schön ausgestattet unter anderem mit Panoramadach, großer Navigation, Rückfahrkamera, Drive-Sense und Rear-Seat-Entertainment. Aber, und da erkennt man die Not der letzten Monate in der Geschichte der Saab Automobile AB, mit Ledersitzen im Vector Trim.

Es wäre zu wünschen, wenn er, so wie er ist,  erhalten bliebe. Der Kombi ist einer von zwei Rechtslenkern,  die überlebt haben. Seine merkwürdige Ausstattung und die bewegte Historie machen ihn zu einem Solitär schwedischer Automobilgeschichte.

18 thoughts on “Der verschollene Saab 9-5 NG Sportkombi #36

  • Mir wäre ganz viel positiv egal gewesen …

    Das größte Manko an jedem NG SC jeglicher Ausstattung und Motorisierung ist, dass er selbst und Ersatzteile es nie in die Serie geschafft haben.

    Einen Linkslenker mit 2.0 BioPower oder TTID (jeweils gehirscht) und Ledersitzen hätte ich aber – mit oder ohne was auch immer – sehr, sehr gerne gehabt.

    Hätte, hättan, Trollhättan …

    Ein Auto, exklusiver als ein Koenigsegg, traue ich mir nicht zu. Oder Hunden, Kindern, Frau und fremden Mitmenschen und Verkehrsteilnehmern.

    Würde ich Mal wieder einem NG SC begegnen, würde ich dem mutigen Besitzer auf Knien danken. Ebenfalls positiv egal und unabhängig von dessen Ausstattung und Motorisierung …

  • Ja, das wäre auch für mich die Wunsch-Motorisierung gewesen – und dazu noch mit Panorama-Dach, Navigation usw. Herrlich! Die Vector-Sitze hätten mich nicht gestört. Für mich hätte dann nur noch das HUD gefehlt (kann Kiel aber nachrüsten) und natürlich das Lenkrad auf der linken Seite! 😉

  • TTID XWD wäre die Motorisierung im NG Combi gewesen.

  • Von den – ich sage mal ganz neutral: Erstaunlichkeiten im Zuge eines Konkursverfahrens können wir aus der Borgward-Szene ein Lied singen. Handelte es sich um Dilettantismus der Akteure? Steckte ein Plan dahinter, und wenn ja, welcher? Der Konkursverwalter von Borgward war Vorstandsmitglied bei BMW – ist das niemandem aufgefallen? Unendlich viele Fragen, Spekulationen über Spekulationen. Mit der Saab-Insolvenz hat die Industriegeschichte eine weitere Quelle dafür gefunden, leider. Was bleibt, sind die Fahrzeuge die wir heute real benutzen können. Das erdet.

  • ´´Hallo in die Runde´ das Fahrzeug ist auf jeden Fall ´´faszinierend´´ … leider ist es eine Diesel-Variante´ … und für meine vielleicht etwas späteren Begierden und Interessen an einem NG-Modell´ doch dadurch leider aus dem Rennen´ um einen würdigen gleichwertigen Nachfolger´ für meinen 9-5 AERO Sport-Kombi von 2002´! Aber ansonsten hätte es bestimmt gepasst … falls er jemals verkauft werden würde´´!

  • Die Insolvenzverwalter waren nicht wirklich die Besten für Saab. Aber so ist es halt gelaufen. Interessant das Jagd gemacht wurde auf Vorserienfahrzeuge und das weltweit!? Wozu? Gab es denn noch so viel schützenwertes an Endwicklung was niemanden in die Hände fallen sollte?

    • In meinen Augen gab es nichts. Vielleicht in den Augen von GM. Der 9-5 NG nahm Entwicklungen voraus, die bei Opel (Insignia) erst mit Zeitverzögerung in die Serie einflossen. Vielleicht liegt dort der Schlüssel.

  • P.S.: Gibts auch Fotos vom Innenraum?? Würden mich brennend interessieren!

    • Leider nicht!

  • Hallo Tom,

    danke für diese tolle “Kriminal”-Geschichte! Großes Kino! 🙂 (Auch wenn ich ein ganz klein wenig enttäuscht bin, dass der/die wieder aufgetauchte Verschollene nicht der 9-5 NG Schrägheck Prototyp ist. 🙁 )

    Mal ne ganz blöde Frage: Warum versuchten die Insolvenzverwalter, “das Überleben der letzten Fahrzeuge zu verhindern und verschrotteten alle Fahrzeuge, derer sie habhaft werden konnten?” Und warum wurde dafür sogar ‘”die Karosserie in 4 Teile zerschnitten, um eine spätere Rekonstruktion zu verhindern”? Mussten die nicht für die Insolvenzgläubiger alles tun, um möglichst viel Geld zu generieren? Liebhaber hätten sich doch bestimmt für einen Verkauf gefunden. Oder gehts da um Patente des 9-5 NG, damit keiner was klaut/nachbaut? (Dafür hätte man sich ja aber auch vorher einfach so auf normalem Weg einen 9-5 NG kaufen können.). Betraf das “Sakrileg” (meine ich wirklich so!) der Verschrottung nagelneuer Saabs demnach nur den 9-5 NG (oder sogar nur den SportCombi Vorserie?) und nicht den 9-3??

    Danke für eine kurze Aufklärung und uns allen hoffentlich bald wieder mögliche Frühlingsausflüge mit unseren Schätzen! 🙂

    • Die Arbeit der Insolvenzverwalter lässt keine klare Ausrichtung erkennen. Es wurden Vorserien Fahrzeuge verschrottet, andere verkauft oder versteigert.

      Generell ist die Arbeit extrem umstritten. In Schweden läuft, rund 10 Jahre später, die Aufarbeitung der Aufarbeitung. Pfänder von erheblichem Wert, die dem schwedischen Staat übereignet wurden, sind nicht mehr vorhanden. Fertig produzierte Fahrzeuge, man spricht über eine mittlere 3-stellige Stückzahl, wurden verschrottet, statt sie zu verkaufen. Die Liste ist lang, das Drama noch nicht am Ende. Eine allumfassende Antwort wird es erst in einigen Jahren geben.

  • Deutlich sichtbar zeigen sich einzelne Designelemente, die sich in spätere Opel-Produktionen eingeschlichen haben. GM sei “Dank”…

  • Nur wegen des Datums, ernst oder Scherz?

    • Ernst. Datum ist zufällig.

  • Ein Krimi. Ein Thriller.
    Und jeder einzelne NG SC ist ein Kandidat für eine Serie.
    Faszinierende Autos – besser gesagt, Protagonisten.

  • Wow, was für eine Geschichte….

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