Saab und Mahindra – der nie real gewordene Albtraum
Albträume reflektieren unverarbeitetes Geschehen und können immer wieder kommen. Saab affine Menschen kennen den Weihnachts-Albtraum. Der suchte Trollhättan 2009 und 2011 heim. Zuerst, als GM die Marke abwickeln wollte. Zwei Jahre später dann, als Saab sich selbst in Richtung Walhall schoss.
Saab und Mahindra
Mitten drin während der dramatischen Ereignisse war stets ein Unternehmen: Mahindra. Der Konzern aus Indien spielte immer mit, und hielt sich doch stets diskret im Schatten auf. 2009 startete der erste Versuch Saab zu übernehmen. Der scheiterte, das Angebot war noch nicht günstig genug. 2011 und 2012 folgten die nächsten Anläufe.
Während man Saab weiter auf der Einkaufsliste hatte, war Mahindra & Mahindra 2010 preiswert mit 75 % beim vom Konkurs bedrohten koreanischen Hersteller Ssangyong eingestiegen. Planten die Inder einen internationalen Automobilkonzern zu formen? Die Spekulation war präsent, sie schien berechtigt. Doch weder 2011 noch ein Jahr später griff Mahindra in Schweden zu.
Und es gab Unschärfen, die Raum für Vermutungen lassen. Im Sommer 2012, kurze Zeit bevor die Immobilien in der Stallbacka an NEVS gingen, verließen einige Container die alte Saab Fabrik in Richtung Indien. Über den Inhalt wurde Stillschweigen vereinbart. Möglich wäre, dass letzte Entwicklungen an den indischen Konzern verkauft wurden. Denn NEVS übernahm nur einen Bruchteil des geistigen Saab Eigentums.
Vier Anläufe
Nach 2009, 11 und 12 folgte der letzte Anlauf sich Saab und das Werk anzueignen im Sommer 2014. NEVS befand sich in Schwierigkeiten und schien für kleines Geld zur Übernahme bereit. Zwischenzeitlich hatte man auch die Rechte am Saab Markennamen verloren, dem eigentlichen Kern des Unternehmens. Die Grundbedingung zum Einstieg war die erneute Freigabe zur weiteren Verwendung durch die Saab AB.
Die Presse gab sich optimistisch, die Anfrage bei der Saab AB war gestellt. Und wieder einmal passierte nichts. Das Thema verschwand aus den Medien, und Mahindra aus der Stallbacka.
Ssangyong Albtraum
Mahindra bastelte in den folgenden Jahren weiter an der Idee eines Automobilkonzerns. Im Dezember 2015 befreite man Pininfarina aus den Klauen der Gläubiger, und man darf durchaus fragen, was aus Saab geworden wäre, hätten die Inder gekauft?
Die Antwort? Mit einiger Sicherheit ein Albtraum. Die Entwicklung von Ssangyong seit dem Jahr 2010 erinnert frappierend an Saab unter GM. Der befreiende Sprung nach vorne und große Investitionen blieben aus. Nach erprobter Manier, aus dem Lexikon des Scheiterns, lieferten die Koreaner im indischen Besitz kontinuierlich nur Technik auf dem vorletzten Stand.
Produkte wie der Tivoli und Korando waren zwar optisch gefällig, blieben aber in einem preissensiblen, ertragsschwachen Segment. Den Versuch einer Höherpositionierung gab es erst gar nicht. Dass man sich für das Marketing in Deutschland den Saab Slogan “Alles, außer gewöhnlich” auslieh, brachte auch keine Exklusivität. Die Lage wurde immer toxischer, und im Sommer machte Mahindra den Gedanken der Trennung öffentlich.
Im Juni 2020 begannen die Inder mit der Suche nach einem Käufer, der sich bisher nicht fand.
Auch das vorläufige Ende von Ssangyong erfolgte nach bewährtem GM Muster. Am 14. Dezember platzte die Rückzahlung eines Darlehens über 54.44 Millionen US Dollar. Eine Summe, die in der Autoindustrie keine Bedeutung hat, und maximal zum Auffüllen der Portokasse tauglich ist. Mahindra verweigerte Hilfe, am 21. Dezember ging Ssangyong in die Insolvenz. Ein Weihnachts-Albtraum für die Mitarbeiter. Die Restrukturierung soll das Unternehmen schön für mögliche Interessenten machen, die weitere Entwicklung ist offen.
Pininfarina
Wesentlich glanzvoller scheint es für Mahindra bei Pininfarina zu laufen. Das Unternehmen mag überschaubar genug sein für die Ambitionen und die Investitionsbereitschaft seiner Besitzer. Der Pininfarina Battista, aktuell einziges Produkt, ist ein elektrisches Hypercar, das in Zusammenarbeit mit Rimac entwickelt wurde. Maximal 150 Stück sollen gebaut werden.
Der Battista steht völlig in der Tradition jener italienischer Meisterwerke, die man lediglich bedingt als ein Auto bezeichnen darf. Er knüpft an jene Zeiten an, als man im Haus Pininfarina für Alfa Romeo, Ferrari und andere Hersteller automobile Legenden entwarf. Hier, und nur hier, scheint Mahindra ein glückliches Händchen zu beweisen.
Als Dienstleister konstruiert und designt Pininfarina Fahrzeuge für chinesische Hersteller, und ist offensichtlich dort gut im Geschäft. Auf der Kundenliste findet man auch Evergrande Auto, Eigentümer der Saab Fragmente in Trollhättan. CEO bei Pininfarina ist Per Svantesson, früherer Manager bei Volvo Cars und Einkaufschef bei NEVS.
Ist doch gut, wenn man sich kennt.
Mit Filmmaterial von Pininfarina
@ Aero-93,
das wird so sein. Zu gerne wüsste ich, wie dieser Markt (Hypercars) sich in 10, 20 oder 30 Jahren entwickelt haben wird.
Die Auflösung nur einer einzigen der größeren Sammlungen (etwa durch Erben) hat schon fast das Potential, eine kleine Schwemme auszulösen. Manche umfasst bis zu 50 Hyper- und Sportscars – allein bis zu 6 Bugatti.
Bin mir gar nicht sicher, ob jedes Hypercar der letzten und kommenden 20 Jahre über eingebauten Wertzuwachs verfügt, der jederzeit oberhalb der Inflation siedelt.
Rolls Royce hatte mal einen Hänger. Da gab es gepflegte Gebrauchte für ‘n Appel und ‘n Ei, weil sie mit Komfort und Fahrleistungen von Neuwagen nicht annähernd mithielten, ohne bereits als klassisch zu gelten.
Wenn man sich die Fahrleistungen mancher Autos heute so anguckt (+/- 3,0 von 0 auf 100 gibt es in Serie und kein Hypercar der Welt kann das besser), dann scheint mir die ganze Gattung Hypercar in einer ähnlichen Situation, wie einst britische Luxuskarossen …
Vielleicht ist es sogar schlimmer? Wer möchte in einem Hypercar für einen 7-stelligen Preis sitzen, wenn Teenager aus dem Pickup nebenan drei unendlich lang scheinende (oder gar 8 bis 10) Sekunden von 0 auf 100 bzw. 200 fröhlich winken, Grimassen schneiden und nackte Hintern an die Scheibe drücken und das ganze Spektakel mit ihren iPhones live streamen?
Gemessen an diesem Szenario hatte Rolls Royce es vergleichsweise einfach, sich und die eigene Existenzberechtigung neu zu erfinden.
Vielen Dank wieder für die vielen Hintergrundinformationen die man nur hier bekommt. Hier sehe ich nur äußerst selten einen Ssangyong. Kenne einen Saabhändler in Tschechien der seit einiger Zeit auch Ssangyong verkauft und der hat berichtet, dass sie sich bei ihm sehr gut verkaufen. Drum überrascht mich die Insolvenz jetzt ein wenig, aber nur weil ein Händler gut verkauft heißt das ja nichts.
Pininfarina war ja jahrelang der Hausdesigner bei Peugeot und da wurden so wunderbare Fahrzeuge wie die 404 und 504 Coupes/Cabrios gebaut. Für mich ist das 504 Coupe eines der formvollendesten Autos die es für vernünftiges Geld zu kaufen gab, resp. noch gibt.
150 Fahrzeuge im weltweiten Angebot…, die werden an den Mann (!) zu bringen sein. Und weggestellt werden, oder so.
Ob die Welt so ein Fahrzeug benötigt, das sollen andere entscheiden. In den Kreisen, in denen dieses Fahrzeug zu Hause sein soll, wird evtl. zu diesem Thema eh anders gedacht (und gehandelt).
Ansonsten bin ich froh, dass SAAB ein weiteres Drama erspart blieb.
Die Realität kann diesem Albtraum ja leider das Wasser reichen.
Bei allem nötigen Respekt vor VM & NEVS. Bei aller Dankbarkeit für die Saab, die noch das Licht erblickt haben, aber viel weniger, als nach GM noch passiert
Ist, war auch kaum möglich.
Mir fehlt die Phantasie, um mir da noch einen Albtraum auszumalen, der die Realität vergleichsweise rosig erscheinen ließe.
Mir fällt viel mehr ein, was unter VM und NEVS besser hätte laufen können und müssen. Aber hinterher ist man immer klüger und im Wunschdenken sind viele von uns, bin ich zumindest, im Bezug auf Saab langjährig geübt.
Vielleicht hätte es ja tatsächlich auch noch schlimmer kommen können? Wer die nötige Phantasie hat, findet in dem Artikel vielleicht ein wenig Trost. Ich nicht.
Mahindra ist schon so lange her – fast vergessen. Jeden € den man in Ssangyong investiert hat, wäre bei Saab besser augegeben gewesen. Auf der anderen Seite würden meine Nerven kein zweites Drama mitmachen.
Also ist es besser, dass daraus nichts geworden ist. Vor allem nach dem, was ich hier so lese.