Die Zukunft und die Unsicherheiten in Trollhättan

Fast 8 Jahre ist es her – seit dem schwarzen Dezember, als in Trollhättan die Lichter ausgingen. Seitdem ist nicht viel passiert. Der Einstieg von Evergrande brachte am Jahresanfang neue Hoffnung, gleichzeitig aber auch neue Unsicherheiten. Wo stehen Trollhättan und NEVS innerhalb der sich formierenden Gruppe,  und welche Rolle kann und darf man in den kommenden Jahren spielen? Und, besonders von Interesse, wird es überhaupt noch ein Fahrzeug geben, das am Göta Älv entwickelt wurde? Der Versuch einer Spurensuche, die nicht einfach ist – und die heute mehr denn je von Unsicherheiten geprägt ist.

Haupteingang früheres Saab Werk in Trollhättan
Haupteingang früheres Saab Werk in Trollhättan

Nur noch einmal so zur Erinnerung. Im September 2019 erwarb Evergrande die komplett entwickelte Chassis Architektur 3.0 von FEV-Benteler. Einen Monat später verkündete man eine weitreichende Kooperation mit Pininfarina. Die Italiener werden 15 neue Modelle gestalten,  und es drängt sich die Frage auf, wer da noch Entwickler und Designer in Trollhättan benötigt. Bewegt sich am Göta Älv überhaupt noch etwas?

Phoenix-E lebt!

Es ist erstaunlich, denn obwohl mit der Architektur von FEV-Benteler eine Plattform in der Gruppe vorhanden ist,  arbeitet NEVS weiter an einer eigenen Lösung. Die Phoenix-E Plattform lebt weiter, wie Technik Chef Frank Smit in einem Beitrag bei NyTeknik erzählt. Im Gegensatz zu der Phoenix 1 Plattform, auf der das NEVS 9-3 Elektroauto basiert, ist sie hochflexibel und von Anfang an konsequent auf elektrische Mobilität ausgelegt.

NEVS arbeitet daran schon sehr lange. Bei meinem letzten Besuch im Entwicklungszentrum, der bereits 3 Jahre zurückliegt, bekamen wir überraschend sehr offene Einblicke gewährt. Die Plattform ermöglicht den Bau fast aller Fahrzeugklassen auf einem Baukasten. Obwohl die Möglichkeiten fast unbegrenzt wären, möchte sich NEVS auf zwei verschiedene Radstände limitieren.

Nicht klar bleibt der Entwicklungszustand der Plattform. Ebenso ungeklärt ist, wann und ob überhaupt das erste Modell von NEVS an den Start rollen könnte. Einen Zeitplan publiziert man nach wie vor nicht.  Dafür verrät Smit aber, dass man weiter an dem Sango Projekt arbeitet.

Das Projekt, ein autonom fahrender Pod, genießt Priorität und basiert auf einem weiterentwickelten Derivat der Phoenix-E Plattform. Die Arbeiten laufen seit dem Frühjahr 2018, das Ergebnis könnte für Betreiber von autonomen Flotten von Interesse sein. Allerdings arbeiten mittlerweile fast alle Hersteller mit mehr oder weniger Nachdruck an ähnlichen autonomen Lösungen.

Der Sion von Sono Motors

Zu den wenigen Dingen,  die halbwegs konkret sind,  gehört die Produktion des Sion von Sono Motors, die im zweiten Halbjahr 2020 anlaufen soll. Noch ist das Projekt kaum greifbar,  und seine Konturen verschwinden im Nebel. Weder kann man eine Vorserien-Fertigung melden noch Vorbereitungen zur Homologation. Das Münchner Startup wartet auf eine weitere Finanzierungsrunde, die Anfang 2020 laufen soll.

Aber es tut sich etwas im Werk. Nach unseren Informationen, die nicht über die offiziellen Kanäle kommen, aber als zuverlässig gelten dürfen, bereitet man die Auftragsfertigung vor. Wohlgemerkt nur für den Sion und nicht für andere Fahrzeuge, die von NEVS oder dritten Parteien kommen könnten.

Mehr Arbeitsplätze für Trollhättan?

Offiziell wird die Fertigung des NEVS 9-3 Elektroautos in China im Januar 2020 Fahrt aufnehmen. An der Wertschöpfung soll auch Trollhättan beteiligt sein. Komponenten aus dem Saab Werk für die Fertigung in Tianjin, eine dreistellige Anzahl zusätzlicher Mitarbeiter am Göta Älv. Davon hört man schon lange nichts mehr und das könnte Gründe haben.

Kommt das NEVS 9-3 EV niemals auf den Markt? Es gibt Fakten die dafür sprechen.
Kommt das NEVS 9-3 EV niemals auf den Markt? Es gibt Fakten, die dafür sprechen.

Die Unsicherheiten

Es könnte sein, dass das erste NEVS Produkt niemals auf den Markt kommen wird. Ein spekulativer Tweet aus China weist darauf hin, die Fakten sprechen für seine Seriosität. Das NEVS Elektroauto ist nicht mehr zeitgemäß. Basis und Design sind zwei Jahrzehnte alt. Was Saab Fans lieben würden, das würde beim SUV-affinen Publikum auf Ablehnung treffen. Die Zeit alleine hat die Pläne für das Elektroauto auf Saab Basis zur Makulatur werden lassen, es könnte aber noch zu bedeutenderen Umbrüchen kommen.

Nicht ist so sicher wie die Unsicherheit! Phoenix-E, das Sango Projekt, die Auftragsfertigung des Sion. Es ist die Frage, ob diese Projekte Bestand haben werden. Evergrande plant seinen Einfluss auf Trollhättan zu erhöhen und den Anteil der Aktien schrittweise auf über 80 % auszubauen.

Dass man das tun wird, gilt als sicher. Die Frage ist nur,  wie schnell und nicht ob. Ob innerhalb der Gruppe eine zweite Plattform ihre Daseinsberechtigung haben wird, darf mit einem Fragezeichen versehen werden. Die theoretische, weil nie wirklich genutzte Möglichkeit,  ein modernes Fahrzeug mit Saab Reminiszenz zu entwickeln,  könnte ebenfalls der Vergangenheit angehören, selbst wenn mehr als 3 Milliarden US-Dollar in die Stallbacka fließen.

Alles dürfte auf den Prüfstand kommen, auch der Markenname “NEVS”. Vielleicht kommt es zum erneuten Wechsel der Namen auf den Gebäuden,  und aus Trollhättan wird der erste Standort für “Hengchi” in Europa?

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Alter Schwede
Alter Schwede
4 Jahre zuvor


Um Gotteswillen, dass war nicht meine Absicht Salz in eine Wunde zu streuen. Sondern wirklich eine ernst gemeinte Frage ohne jegliche Häme.
Am Ball bleiben zu wollen in Trollhättan ist ja genau richtig und verständlich. Nur kann ich mir vorstellen das man als Blogger auch mal die Nase voll hat.
Was Du machst und hier leistest ist schon unbeschreiblich gut!!

Nameless
Nameless
4 Jahre zuvor

Benteler and FEV Group will now make EV chassis for them.

Herbert Hürsch
Herbert Hürsch
4 Jahre zuvor

@ StF,

wenn ich die Infos hier richtig verfolgt, verstanden, memoriert und eingeordnet habe, dann hängen an den Werken von NEVZ auch staatliche Lizenzen und Genehmigungen – letztlich die Erlaubnis, es als chinesisch automobiles Start-up Nr. 0815 es heute überhaupt noch versuchen zu dürfen …

Der Wert von NEVZ für Evergrande liegt womöglich viel weniger in den Werken und Werkzeugen, als in einem Fuß in der Tür?

Aber wie dem auch sei, wir können noch so heftig spekulieren und der größte Spekulant von allen bleibt trotzdem Evergrande.

Herbert Hürsch
Herbert Hürsch
4 Jahre zuvor

@ Tom,

ich habe den Artikel gerne gelesen. Dass da nichts steht, was mich erfreuen würde, hat ja mit der Relevanz nichts zu tun und macht es ja nicht weniger spannend.

Vielen Dank also für die jüngsten Entwicklungen in diesem Wirtschaftskrimi, den wir wohl alle ein wenig als Salz in der Wunde empfinden.

Irgendwie ist es aber auch ein bisschen das Salz in der Suppe, wenn man lesen kann und darf, dass nicht jeder ganz einfach überall auf der Welt gute Autos bauen kann. Die Trolle und deren leider nur noch historischen Leistungen stehen so viel besser da. 🙂

StF
StF
4 Jahre zuvor

Selbst wenn Evergrande nur an den Werken interessiert wäre, müssten sie ja auch an deren Zustand interessiert sein, die ganzen Anlagen werden nur durch Herumstehen auch nicht besser.
Und eine Aussage wie, das erste Modell soll in 3 Jahren präsentiert werden, meint wahrscheinlich genau das: Vorstellung in 3 Jahren, aber Serienanlauf erst in 4 Jahren. Schon zum Schutz ihrer Investitionen müssten sie ein Interesse daran haben, dass die Produktion anläuft.
Die vollmundige Ankündigung von Evergrande war doch, sie wollen innerhalb von 10 Jahren 5 Millionen Autos verkaufen. Wenn es erst in 4 Jahren losgehen sollte, hätten sie dafür dann noch 6 Jahre Zeit, das wären dann über 800.000 Autos pro Jahr für einen Neueinsteiger.
Nach meiner Einschätzung wird das nicht funktionieren, selbst wenn ab nächstes Jahr die Produktion des 9-3 EV anläuft. Falls erst in 3 bis 4 Jahren ein Produkt kommt, schon mal gar nicht.
Die Belegschaft muss aufgebaut werden und Erfahrungen machen, wie soll das gehen, wenn nichts produziert wird?

Und das Produkt soll zu alt sein für den chinesischen Markt? Gegen einheimische Produkte sollte eigentlich immer noch etwas gehen und die chinesische Industrie sollte weiß Gott genügend digitale Entertainment-Systeme liefern können, die die Kunden dort so gerne haben. Eventuell könnte das Auto zu klein sein, denn in China gibt es selbst von Fahrzeugen der unteren Mittel- und Kompaktklasse Langversionen, die für den Einsatz als Taxi oder für Fahrdienstleister vermutlich besser geeignet sind.
Auch in Indien soll angeblich die E-Mobilität vorangetrieben werden und auch für diesen Markt soll der 9-3 zu alt sein? Wenigstens als Taxi sollte doch was gehen, aber wiederum wäre eine Langversion vermutlich besser.

Hier also mein Rat für Evergrande: Die Produktion muss, zugegebenermaßen wohl in kleineren Stückzahlen, anlaufen und sie werden wohl nicht umhin kommen, noch mal 8-10 cm in Karosse einzuschweißen, um besser verkaufen zu können.

Mal sehen, was wirklich passieren wird, aber wohl nicht das, was mit markigen Sprüchen angekündigt wurde …

Alter Schwede
Alter Schwede
4 Jahre zuvor

Es ist nach den jüngsten Informationen keinerlei Glaubwürdigkeit vorhanden oder das Zutrauen das NEVZ mit oder ohne Evergrande überhaupt irgendwas schaffen wird. Die Produktion von Sion Autos ist doch wahrlich kein Erfolg. Es ist gut das man NEVZ die Namensrechte weggenommen hat, wirklich gut.
Wie ist es für Dich Tom, über etwas zu schreiben das Monate später wieder einkassiert werden muss?

Herbert Hürsch
Herbert Hürsch
4 Jahre zuvor

Faszinierend

Das 9-3 EV ist möglicherweise schon wieder in der Tonne und Evergrande will trotzdem NEVS-Aktien kaufen?

Ich hatte heute auch eine gute Geschäftsidee: Die kostenpflichtige Altgoldtonne für private Haushalte.

Vielleicht möchte Evergrande da ja auch einsteigen? Die Firmenzentrale könnte ein international renommiertes Büro entwerfen. Ein Monolith in Form einer goldenen Mülltonne …

Aber mal ganz im Ernst, das Interesse von Evergrande an NEVS kann doch eigentlich nur noch in den chinesischen Produktionsstätten liegen, oder?

Sofern es Evergrande als Immobilienentwickler überhaupt gelingt, jemals in die Automobilität einzusteigen, wird das nur noch wenig bis gar nichts mit Saab zu tun haben.

Franken Troll
Franken Troll
4 Jahre zuvor

Die Sache ist in mehrfacher Hinsicht Irrsinn. Da wird seit 2012 (?) Geld verbrannt ohne daß man es geschafft hat eine nennenswerte Einkommensquelle zu erschließen.

Zusätzlich ignoriert man die SAAB Vergangenheit. Da sind noch ein paar 100.000 Autos auf den Straßen, es gibt immer noch Händler und ein funktionierendes After-Sales Konzept. Statt dessen jagt man Träumen hinterher, die 2025 oder 30 mal Wirklichkeit werden könnten. Irre.

Herr Nordmann
Herr Nordmann
4 Jahre zuvor

Unglaublich das NEVS sich mit nichts so lange über Wasser halten kann.
Die meisten Autohersteller und Zulieferer sind wahrscheinlich mit Ihrer Technologie um Jahre weiter als NEVS und haben wesentlich mehr Geld für Entwicklung und Forschung.
NEVS wird aus der Abkehr von der Marke SAAB und die Borniertheit ausschließlich auf Elektrofahrzeuge zu setzen scheitern.
Meiner Meinung nach sind zur Zeit Hyundai und Toyota die innovativsten Hersteller auf dem Markt, neben herkömmlichen Verbrenner – und Elektroautos wird bei denen auch fleißig die Brennstoffzellentechnologie vorangetrieben.
Nur alleine den focus auf Elektoantriebe zu setzen wie z.B. unsere tolle Deutsche Autoindustrie,(und Politik) halte ich für einen Riesenfehler.

Aero-9-3
Aero-9-3
4 Jahre zuvor

Zitat: Nichts ist so sicher, wie die Unsicherheit! (etwas “verändert” 😉 )
Wie wahr! Sollten nicht zig-Tausende 9-3 E in China vorbestellt sein, ganz sicher sollte der Deal ebenfalls sein.
Also, all´ die Vor-Order sind Geschichte. Realität sind augenscheinlich 2 (?) fast fertige Fertigungsbetriebe in Fernost.
“Der Rest” ist Zukunft. Mit vielen Absichten. Mit und leider auch womöglich ohne Trollhättan.
Spannend bleibt es trotzdem, oder gerade deswegen.
Ich freue mich auf weitere “Insider-Infos”!