Verwandtschaftsverhältnisse

Man erblickt am gleichen Tag und Ort das Licht der Welt. Viele Jahre später trifft man sich wieder. Das Leben, in das man zeitgleich gestartet ist, hat sich unterschiedlich entwickelt. Ist bei Menschen so – bei Autos aber auch ! Nur treffen sich Automobile meist nicht wieder…normalerweise. Es sei denn, man kam als Saab auf die Welt…

Saab 9000 CSE 2.0t, Anniversary und 9000 CSE 2.3t Anniversary, beide 30.03.1998.
Saab 9000 CSE 2.0t, Anniversary und 9000 CSE 2.3t Anniversary, beide 30.03.1998.

Es war im Spätherbst 2014. Unser 98er Saab 9000 CSE 2.3t, später bekannt als das Anna Projekt, steht im Saab Hangar. Zwei Wagenlängen vor ihm steht mein 9000 CSE 2.0t, mitternachtsblau, auch aus 98. Beide Wagen stehen immer mal wieder zusammen, ohne dass jemand auf die Idee gekommen wäre,  nach der VIN zu schauen. An diesem Nachmittag tue ich es, und bin überrascht. Die 9000er sind nicht weit auseinander, oder besser gesagt, sie scheinen sich recht nah.

Was das Produktionsdatum angeht.

VIN 8176 trägt Anna, 8194 der Mitternachtsblaue. Verrückt, oder? Vermutlich sind sie am gleichen Tag vom Band in der Stallbacka gelaufen, parkten auf dem Auslieferungsplatz und gingen zusammen auf einem Transporter in Richtung Deutschland. Dann trennten sich ihre Wege.

Bis zum 7. April 2013, dem Tag,  an dem Anna in den Hangar einzog. Nach rund 15 Jahren waren die beiden wieder vereint, und ich ahnte damals nicht, dass es exakt 15 Jahre 8 Tage waren, seit beide vom Band liefen.

Das war der Stand der Dinge 2014. Die Idee,  dass beide Fahrzeuge am gleichen Tag gebaut wurden,  war nicht mehr als eine Vermutung. Anfang 2016 erwerben wir das historische  CoC Saab Archiv, darunter die Dokumente beider 9000er. Was ich vermutet hatte,  wird Gewissheit. Beide 9000er wurden am 30.03.1998 produziert.

Produktionsstrasse in Trollhättan, Auslieferungsplatz, Transport nach Deutschland. Dort trennen sich die Wege, und das Schicksal hätte nicht gegensätzlicher verlaufen können. Der 9000 2.0t, mitternachtsblau, mit beigem Leder und Automatik geht nach Oberfranken. Er scheint ein Bestellfahrzeug gewesen zu sein, bereits am 23.04.1998 wird der Saab zugelassen. Der Besitzer, Jahrgang 1934, muss seinen 9000 sehr geliebt haben. Scheckheftgepflegt nur bei Saab, pfleglich behandelt, war er bis 2011 im Fichtelgebirge im Einsatz. Die Fürsorge dieser Jahre spürt man heute noch, der Anniversary ist ein 18 Jahre alter Fast-Neuwagen.

Oberfranken kann eine rauhe Gegend sein, im Winter sind die Strassen voller Streusalz, das schwedische Blech bekam die volle Wucht zu spüren. Nachdem der mitternachtsblaue 2011 zu uns kam, wurde er 2012 aufwändig im Saab Zentrum Bamberg behandelt. Die Geschichte findet sich in beiden Teilen (Teil 1 und  Teil 2) auf dem Blog. Seitdem ist er fester Teil unseres Fuhrparks und wird regelmäßig bewegt.

Nicht so komfortabel hatte es das Anna Projekt getroffen. Der Saab ging an das Saab Zentrum Wiesbaden, vermutlich als Lagerfahrzeug, denn erst am 09.07.1998 war seine Zulassung. Saab scheckheftgepflegt wurde er die ersten 40.000 Kilometer, dann gab es sporadischen Service in freien Werkstätten. Der Saab war fühlbar ungeliebt bis ins Detail, 2007 wurde er auf die Ehefrau umgeschrieben. Der Zustand des 9000 CSE 2.3 t Anniversary, wie er zu uns kam, mit Scheibenrahmenrost und einer endlosen Liste anderer Mängel war 2015 Thema auf dem Blog; die Leser haben das Anna Projekt begleitet.

Nachdem sich beide Fahrzeuge immer nur den Standort teilten, war es dann im Spätherbst 2015 so weit. Die Geschwister durften gemeinsam auf die Strasse. Der direkte Vergleich – spannend. Automatik gegen Schalter, 2.0 Liter gegen 2.3. Schwarzes Leder gegen beige Pamir Ausstattung? Welcher ist besser?

Beide. Weil beide Fahrzeuge eine Klasse für sich sind. Die ZF Automatik kuschelt mit der soft aufgeladenen 2.0 Liter Maschine. Soviel Harmonie gibt es in den besten Ehen nicht, das ist Oberklasse pur, selbst im zarten Alter von 18 Jahren.

Der 2.3 Liter ist ein anderes Kaliber. Er ist souveräner, der Motor hat mehr Charakter als der angenehme, unauffällige, mit fast moderner Laufkultur aufwartende kleine Bruder. Die manuelle Schaltung ist, nach heutigen Maßstäben, weit gespreizt. Wenn man sich daran gewöhnt hat, im 3. statt im 4. Gang durch die Stadt zu rollen, hat man verstanden. Tolle Langstreckenbegleiter sind beide. Wenn es sein muss,  läuft auch die kleine Maschine schneller als 200 Sachen. Lieber aber cruist man entspannt über die Autobahn und überlässt die Hektik den anderen.

Im Verbrauch sind beide überraschend gleich. Zwischen 9 und 10 Litern stehen auf der Anzeige, ein guter und vor allem ehrlicher Wert für 18 Jahre alte Oberklasse. Völlig unterschiedlich wird es beim Innenraum. Beige gegen Schwarz, was kommt besser?

Man muss in beiden Fahrzeugen Platz genommen haben, um einen verblüffend großen Unterschied zu erkennen. Mit hellem Leder, hellem Armaturenbrett, erscheint der 9000 Innenraum viel größer, luftiger, fast schon dekadent. Das Holz setzt sich besser in Szene, ein Hauch britischer Autokultur weht durch den Saab. Das muss man freilich mögen.

Der dunkle Innenraum fällt hingegen ab. Beengter, rein optisch versteht sich, konventioneller, neutraler. Aber auch weniger polarisierend. Mehr Mainstream, was natürlich Geschmacksfrage ist. Darüber könnte man bekanntlich ewig streiten. Zeitlos schön sind beide Designs.

Die zwei 9000er sind Hingucker, vor allem wenn sie gemeinsam unterwegs sind. Sie sind selten geworden auf unseren Strassen, die Zeiten als Saab große Stückzahlen vom 9000 in Deutschland verkaufen konnte, sind auch schon mehr als 20 Jahre her. Wie geht es weiter mit den beiden Fahrzeugen? Das Leben ist auch da nicht ganz gerecht.

Der Mitternachtsblaue ist eine Art Liebesbeziehung. Gekauft, weil ich die Farbkombination für traumhaft schön halte. Lange danach gesucht, heiß geliebt, und deswegen steht er nicht zur Disposition. Anders sieht es beim Anna Projekt aus. Die Mission, den Saab vor seinem wahrscheinlichen Ende zu bewahren, wurde erfüllt. Er ist in einem guten Zustand, technisch wie optisch. Einige Verbesserungen im Detail wird es in den nächsten Monaten noch geben, der Blog wird darüber berichten.

Aber die Wege werden sich trennen, irgendwann und mal wieder, so wie 1998. Nicht sofort, vielleicht in  ein paar Monaten, eventuell werden auch Jahre daraus. Wir werden sehen. Hoffentlich meint es das Leben dann etwas besser mit ihm.

10 thoughts on “Verwandtschaftsverhältnisse

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    Mindestens zwei zwischen den beiden oben beschriebenen produzierte 9000 sind mir noch bekannt:
    8181, ein ebenfalls mitternachtsblauer Anniversary mit beiger Innenausstattung, 2.0t mit Schaltgetriebe, Erstzulassung am letzten Junitag 1998 auf SAAB-Händler Uwe Schock in Mutterstadt – wohnt jetzt bei einem sehr pflegenden Menschen im Ruhrgebiet.
    8182, Erstzulassung 20.05.1998, läuft im süddeutschen Raum neben mind. zwei weiteren 9000ern ebenfalls bei einem Liebhaber.

    Danke für die weiteren Infos, dann sind die beiden aus meinem Bekanntenkreis auch am 30.03. produziert wurden und vermutlich auf demselben Transporter gen Deutschland gekommen.

  • Wir haben sowas ähnliches mit unseren beiden 9000ern. Einer erstzugelassen in Leipzig, der andere in Karlsruhe. Den einen haben ich 2003 gekauft, der andere wurde 2009 angeschafft. Nicht schlecht habe ich geschaut, als ich gesehen habe, dass beide den selben Tag der Erstzulassung (05.05.1998) haben. 🙂

  • Tolle Geschichte zu tollen Saabs…

  • Es ist schon witzig, wie das Leben manchmal so spielt. Schöne Geschichte.

  • Ein wirklich schöner Text. Eigentlich ist der Saab 9000 ja zeitgeistiger und verwechselbarer als zum Beispiel der klassische 900. Und doch ist es ausgerechnet der 9000, der mir von Jahr zu Jahr immer besser gefällt. Am Heck des CS kann ich mich nicht sattsehen. Wie geht es eigentlich dem schönen weißen Buchhalter-CS aus dem Münchner Vorort? Steht der noch im Hangar und genießt seinen beschaulichen Ruhestand? Ich ärgere mich heute noch manchmal, dass ich den damals nicht gekauft habe, obwohl er so lange inseriert war.

    • Der Münchner CS hat es gut. Er steht immer noch im Hangar und wird regelmäßig bewegt. Wenn wir mit unserem CC fertig sind ist der CS an der Reihe. Neuer Himmel und so. Bis dahin vergeht aber noch etwas Zeit. Der Buchhalter mit seinem blauen Velours harmoniert übrigens recht gut mit dem CC und dem Bokhara Rot. Beides sehr zeitgeistig und 100% 80er und frühe 90er Jahre

  • Tom, das ist eine super Beschreibung und die Unterschiede perfekt herausgearbeitet.

    Ein Kollege hatte auch den CSE-2.0t-Automatik. Wenn wir damit auf Dienstreise waren, hat es mich immer wieder verblüfft, welche Ruhe dieser Antriebsstrang ausstrahlte und die Schaltung oft unbemerkt ihre Arbeit verrichtete. Und das mit “nur” vier Gängen – einfach, genial und höchstes Niveau. Könnten sich einige heutige Hersteller mal ansehen.

    Bei den Innenräumen habe ich (meine beiden sind auch beige und schwarz) den gleichen Eindruck. Mein CSE mit dem beigen Innenraum ist auch noch scarabäusgrün und sieht damit britischer aus als mancher echter Brite. Aber schwarz gefällt mir auch gut. Ich habe vor längerer Zeit von beiden identische Fotos von der Rückbank aus aufgenommen. Wenn man die hin- und herschaltet fällt die Entscheidung schwer – zwei Typen eben 🙂 .

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    Was für ein Zufall. Schon fast etwas für die Zwillingsforschung !

    Schön zu lesen. Spannend fand ich, dass diese beiden Zwillinge so derart unterschiedlich im Charakter – sowohl im Fahrverhalten als auch stilistisch – sind. Darüber hätte ich auch noch mehr lesen können …

    Das macht aus dem Paar ja schon fast zwei eigenständige Modelle !

    In jedem Fall aber richten sie sich an zwei gänzlich unterschiedliche Fahrer/Käufer mit teils konträren Vorlieben.

    Einmal mehr kommt mir der Gedanke, dass die heutzutage ewig breit gefächerten Modellpaletten so mancher Hersteller ganz arg übertrieben sind.

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      Hätte man jetzt noch den passenden Aero dazu gefunden, dann hätte man 3 völlig unterschiedliche Charaktere. Was die Hersteller heute tun ist nur noch Hütchenspielerei. SUV, Sedan, Kombi Cabrio auf einer Plattform, und alle fahren sich gleich langweilig. Charaktertypen gab es früher mal, heute nicht mehr.

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    Absolut unglaublich!! Eine halbe Million 9k wurden gebaut, zwei die am selben Tag gebaut wurden treffen sich. Gibt`s doch nur bei SAAB.

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