Saab 9-5 Kombi 1999 Probefahrt
Rund um das Auto ist Vieles auch Kopfkino. Hochbezahlte Marketing-Menschen haben Begriffe wie “Premium” oder “Anmutung” erfunden, um das Kino in Gang zu setzen. Steigen wir in das Fahrzeug eines Premium-Anbieters, dann haben wir die erwünschte Erwartungshaltung. Starten wir einen Wagen, der vor Monaten noch zum Schrottpreis auf dem Händlerhof stand, dann… ja, ich denke meine Leser und ich, wir verstehen uns.

Die Erwartungshaltung zur ersten Probefahrt mit unserem Projektsaab war entsprechend niedrig. Auf Null, um es genau zu sagen. Um so mehr überraschte mich das Kopfkino. Saab startet, Saab fährt. Er lenkt, er bremst, wie Autos das gewöhnlich tun. Nach wenigen Kilometern meldet sich das Kino. Fährt wie ein Neuwagen, sagt es. Ist aber keiner, erwidern die Augen. Ist es aber doch, sagt das Kopfkino. Hmm. Würde man die Augen schließen, übrigens keine gute Idee, wenn man am Steuer sitzt, dann könnte man wirklich auf die Idee mit dem Neuwagen kommen.
Bremst, lenkt, federt wie neu. Ist ja auch alles neu ! Neue Bremsen, neues Fahrwerk, neue Federn. Dann noch 18″ Bereifung in der Dimension 225/40. Okay Leute ! Wer seinen Saab 9-5 der ersten Serie als gemütliches, etwas indifferent zu fahrendes Seniorentransportmittel kennt, der sollte spätestens jetzt das Fahrwerk und alle seine Buchsen überarbeiten lassen. Der 9-5 war ab Werk gut definiert, mit den größeren Reifen rollt er wie ein modernes Auto über die Piste. 1999 waren 16″ extravagant, heute sprechen wir über viel, viel mehr. Die 18″ Inka sind für den Saab das Maximum und harmonieren mit dem 9-5 Kombi nicht nur optisch. Der Kombi fährt erwachsen durchs Leben, ohne zu straff oder in irgendeiner Art unharmonisch zu wirken.
Und auch sonst überrascht der 9-5 auf seiner ersten Ausfahrt durch den Spessart. Die ersten Kilometer fehlt es an Drehfreude; bei fiesen, langen Steigungen im Mittelgebirge tut er sich schwer. 150 Softturbo PS machen aus dem Kombi keinen Sportler. Aber mit jedem gefahrenen Kilometer dreht der Motor freier; hält man die Drehzahl oberhalb von 2.000 Touren, dann geht es zügig voran.
Der 9-5 Kombi rollte 1999 vom Band, das genaue Datum werden wir im Saab COC Archiv noch ermitteln. Er könnte ein ganz früher Kombi sein und wartet doch mit Qualitäten auf. Die Karosserie ist immer noch solide, die Verarbeitung gut, und nicht alle Produkte des Mitbewerbs sind nach reichlich 17 Jahren noch so vertrauenerweckend unterwegs.
Die Außentemperatur liegt bei 25 Grad, der Innenraum wird von der Klimaautomatik auf angenehme 22 Grad temperiert. Das tut sie unauffällig, zugfrei, ohne Eingriff durch den Fahrer. Das Radio hat guten Empfang, selbst in den Regionen des Spessarts, wo moderne und teure Anlagen Probleme haben. Mit den Optionen für Kassette und CD ist die Einheit ein moderner Anachronismus, passt aber gut zu einem Auto, das fast 2 Jahrzehnte unterwegs war. Das SID hat seine Pixelkrankheit, irgendwann muss ein neues rein. Aber sonst?
Alles unaufgeregt, alles entspannt. Saab 9-5 fahren ist wie der Ausflug mit einem guten, alten Bekannten, den man Jahre nicht gesehen hat. Das 5-Gang Getriebe ist ausreichend präzise, manchmal etwas knochig und hakelig, aber halt ein echtes Saab Getriebe – wie der Motor mit seiner Trionic, der als 2 Liter zu der sehr kultivierten Maschine gehört.
Die Technik funktioniert, in Kiel hat man die Hausaufgaben erledigt. Der Innenraum braucht Pflege, das Leder Farbe, der Teppichboden Reinigung. Die Dichtungen benötigen Zuwendung, an Fahrertüre und Heckklappe hilft nur ein Tausch. Kleinigkeiten, die ich nach und nach abarbeiten werde. Hat sich die Investition bis hierher gelohnt? Über Kosten und über das, was alles erledigt wurde, reden wir in den nächsten Tagen. Sie sind ein spezielles Kapitel, das einen genauen Blick erfordert.
Gewonnen hat der Saab jetzt schon in einer anderen Disziplin. Auf der Spessart-Tour fällt er auf. Passanten verdrehen die Köpfe, Cabrio Fahrer schauen, was das fährt. Ja, der 9-5 Kombi aus erster Serie ist rar geworden. Und wenn einer unterwegs ist, dann oft als Verbrauchsauto. Ungepflegt, matter Lack. Im glänzenden Schwarz und mit 18″ Inka Felgen sieht man ihn sonst nicht. 100 Punkte für unseren Veteranen zum Kilopreis ! Die Geschichte geht weiter. Seit Paul bei uns steht, kommt Besuch…von Saab Freunden, die Paul gut finden. Und von Menschen, die absolut nichts mit Saab zu tun haben und rein zufällig bei uns zu Gast sind. Spätestens dann wenn sie fragen, ob sie sich mal in den schwarzen Saab setzen dürfen, spätestens dann wissen wir, daß wir mit dem Projektsaab gewonnen haben.
Paul sieht mit diesen Felgen klasse aus.
Tja, mit einem gepflegten SAAB aus den 90ern kann man heute noch überall erscheinen und erntet zunehmend positives Echo und Interesse. Die ersten 9-5 Limos werden nächstes Jahr Youngtimer – das sieht man ihnen wahrlich nicht an (im Gegensatz zu einigen Konkurrenzprodukten).
Das Fahrwerk ist einer der wichtigsten Punkte. Grade neue Buchsen bringen unglaublich Fahrgefühl zurück und das Auto fühlt sich jung an.
Das Thema Leistung sehe ich eigentlich entspannter. Ich muss mich mit einem 20 Jahre alten Auto nicht an Dienstwagenrennen beteiligen. Es ist doch albern, wenn man die gestressten Typen sieht, die zeigen müssen, dass eventuell der Superb einen Km schneller ist, als der Passat mit gleichem Motor und der A4 beide drängelt.
Im SAAB genießt man die Fahrt und muss nichts mehr beweisen 😉 .
Das Leistungsthema sehe ich ähnlich. Ein 9-5I, selbst als Aero, zieht heute keinem mehr die Butter vom Brot. Es macht aber trotzdem Spaß und reicht.
Also ich habe mit meinem – Aero MY 2005 keine Probleme. Wenn ich will, sind die meisten anderen KFZ nur im Rückspiegel zu sehen
sehr schön gesagt GP362. Sehe ich ganz genauso.
Dienstwagenrennen?
Sehr schönes (und treffendes) Wort. Lese ich (bewusst) tatsächlich zum ersten Mal.
Und nö, beteiligen muss man sich daran nicht. Man denke nur an den legendären Tacho des 9000, der selbst im AERO 200+ einfach 200+ sein ließ …
Und dennoch, dass ein 900 schon mit 160 PS fahren durfte, ein 9000 mit noch mehr und ein Paul Jahre später (trotz Turbo) mit 150 PS auf den Markt kam, ergibt nur aus Sicht der damals für SAAB verantwortlichen GM-ler einen Sinn.
Da lag ja nun ein relativ schlaffer V6 im Konzernregal, zu dem die SAAB-Einstiegs-Motoren künftig einen gewissen Abstand zu wahren hatten.
Ein Hirsch-Upgrade für den 2,0er ist nach meiner Meinung gar kein Tuning, sondern lediglich eine Entdrosselung. Eine zerschnittene GM-Fessel. Ich glaube, viele der damaligen SAAB-Mitarbeiter würden das genauso sehen …
Und schon wie bei den Turbos zuvor ist auch beim 9-5 der Durchzug viel interessanter als die Höchstgeschwindigkeit. Ja, auch letztere steigt entfesselt (um 10%), aber der Zuwachs an Drehmoment (satte 33%) ist es, was den Wagen vollständig in einen echten SAAB-T verwandelt und dem ohnehin verbauten Turbo überhaupt erst einen Sinn gibt.
Gedrosselt fährt sich der 2,0er fast wie ein Saugmotor (und hat ja auch ähnliche Daten).
Im 9000 Aero ging die Tachoskala bis 240km/h. Auch in den frühen 9000 Turbos schon war der Tacho bis über 200km/h skaliert.
Deiner Sichtweise mit der verkehrten Einstiegsmotorisierung für den 9-5 kann ich nicht nachvollziehen. Du vergleichst die Top-Motorisierungen der Vorgängermodelle mit der Einstiegsmotorisierung des 9-5 – das passt nicht.
Für den 9000 waren, bis auf die allerletzten Modelljahre, die Sauger mit zwischen 126-131 PS die Einstiegsmotorisierungen. Beim 900 zuletzt ebenso, die Jahre davor 110 PS, und anfangs noch weniger – was aber nicht gleichzusetzen ist mit ‘wenig’.
Die Spitzenmotorisierung des 9-5, um sie mit den 160 PS des 900 und den “noch mehr” des 9000 zu vergleichen, lag über den Top-Motorisierungen der Vorgänger – also auch da eine nachvollziehbare, “glatte” Entwicklung.
Ich finde, auch mit der Einstiegsmotorisierung ist der 9-5 absolut ausreichend motorisiert. Auch innerhalb der Zeit, zu der er herauskam, sollte er betrachtet werden – was waren bei den Mitbewerbermodellen die kleinsten Motoren?
So folgt nach meinem Eindruck die 9-5-Einstiegsmotorisierungen nicht irgendwelchen “GM-Entscheidungen”, sondern nachvollziehbar dem SAAB-Werdegang.
Köstlich geschrieben!
Zwei Dinge sind besonders herrlich:
1. Die Einleitung, mit ihren Anspielungen auf den Bezug von Kopf und Gefühl zum Marketing.
2. Alle Infos zum Fahrwerk, …
… denn da steckt viel mehr drin, als sich auf den ersten Blick erschliesst.
Tatsächlich muss man von den Rad- und Reifendimensionen erstmal absehen.
Sie sind nur das Sahnehäubchen, mit dem ein altes Auto an den automobilen Zeitgeist – immer strafferer und sportlicherer Fahrzeuge, welche immer seltener auch mal irgendwo über einen unbefestigten Weg müssen – angepasst werden kann.
Der weitaus größere Unterschied zwischen Alt und Neu liegt aber tatsächlich im Verschleiss. Es ist schon erstaunlich, wie dieser Unterschied schmelzen kann, wenn ein Fahrzeug gut gewartet ist. Eben nicht nur die Reifen, und nicht nur die Bremsbeläge, sondern alle Teile eines Fahrwerks sind Verschleißteile. Alle ! Alle ! ! ALLE ! ! !
Es bleibt der Motor. 150 Ps und 240 Nm sind für ein Auto dieser Dimension in der Tat nicht mehr zeitgemäß. Na ja, das vielleicht schon noch, aber ganz sicher nicht mehr Speerspitze oder wenigstens oberes Mittelfeld.
Was ist mit 210 Ps und 320 Nm? Das passt auch besser zu 18″.
Einfach hirschen und so mancher Ingolstädter wird sich mächtig die Augen reiben.
Besonders wenn der Ingolstädter erst selbstbewusst nach links und dann bald wieder nach rechts rüberzieht, während Pauls Fahrer sich über seinen Rückspiegel und darüber freut, wie lässig man aus einer Autobahnbaustelle heraus beschleunigen kann.
Und das inzwischen seit sehr vielen Turbojahren.
Das mit dem Motor stimmt. Der 9-5 Kombi ist recht schwer, die 150 PS haben Mühe. Ich denke da müssen wir in den kommenden Monaten was tun 😉
Was ein tolles Auto and wie schoen sieht Sie wieder aus.
Viel spass damit.
Da werden Erinnerungen an unseren 9-5 wach! Euer Job ist extrem wichtig, wer sonst beschäftigt sich mit alten SÄÄBen? Der Hinweis mit dem fhrwerk ist sehr gut, schließlich sind schon einige Jahre und viele 1000 Kilometer Laufleistung auf dem Blech.