Saab 9-5. All die netten Kleinigkeiten.

Es gibt Fahrzeuge, die sind besonders eng mit dem Schicksal der Marke verknüpft. Bei Saab ist es die erste 9-5 Generation. Für GM stand er für den “Aufstieg von Saab zur Weltmarke, weg vom exzentrischen Skandinavier“.  Ein Zitat aus Eric Dymock`s Buch zum 50-jährigen Jubiläum der Marke.

Getränkehalter Origami. Wunderschön.
Getränkehalter Origami. Wunderschön.

Der 9-5, ein echter GM Saab? Ja, und der erste Saab nach GM Philosophie überhaupt. Vergessen wir den 900 II, ignorieren wir den 9-3 I. Sie alle hatten diese merkwürdige, große Heckklappe, das Fließheck, und standen damit für das,  was die Amerikaner von Saab garantiert nicht erwarteten. Dass es sie überhaupt gab,  ist schwer zu erklären, denn schon mit dem 50% Einstieg im Jahr 1990 wollte GM nur noch Limousinen und Kombis. Durchsetzen konnte man sich aber erst mit dem ersten 9-5.

Ein GM Saab. Trotzdem ein echter Saab.

Die Entwicklung des 9-5 dauerte länger als geplant,  und er kam später auf den Markt als gewollt. Selbst dann gab es Schwierigkeiten,  die Produktion auf Stückzahlen zu bringen. Was, im Rückblick gesehen, vielleicht gar nicht so schlecht war. Sonst hätte es keinen Saab 9000 Anniversary zum 50-jährigen Jubiläum und garantiert kein 98er Modelljahr gegeben.

Leser, die jetzt die Vermutung haben, ich möchte den 9-5 in die GM Ecke schreiben, liegen falsch. Denn zum einen mag ich den 9-5, zum anderen hat Saab extrem viel richtig gemacht. Beim Design wurde Wert auf Saab DNA gelegt – Einar Hareide lieferte ein Meisterstück ab. Die muschelförmig ausgeprägte Motorhaube, um nur ein Beispiel zu nennen, ist ganz in der Tradition von Saab 900 und Saab 99. In der Fertigung natürlich teurer als übliche Haubenbleche, steht sie stellvertretend für eines: Für Liebe zum Detail.

Saab 9-5. All die netten Kleinigkeiten.

Die ersten Saab 9-5, die Generation mit dem Traditionsgrill in Chrom, begeistert mit vielen kleinen, gut durchdachten Dingen. Fast 20 Jahre sind seitdem vergangen; 1997 war der Saab fast schon luxuriös zu nennen. Die Schweden meinten es ernst, die Amerikaner meinten es ernst. Nur leider nicht für lange, und beide dachten in gegensätzliche Richtungen. Nur erkannte man das damals noch nicht.

Ein Ergebnis des nordischen Dramas ist die Geschichte des 9-5. Denn mit jedem Facelift verschwand die ein oder andere geliebte Nettigkeit. Tragisch? Ja, auf jeden Fall. Während andere Hersteller alternden Modellen immer mehr Ausstattung schenkten, um sie attraktiv zu halten, setzte GM beim 9-5 vom ersten Modell bis zur Chrombrille den Rotstift an. Radikal ! Und Fahrer von Chrombrillen Saabs sollten besser jetzt nicht mehr weiterlesen.

Getränkehalter Origami.

Unser Projektsaab ist ein 1999er Modell . Ein ganz früher 9-5 Kombi, mit vielen Details,  die es später nicht mehr gab. Fangen wir an bei der Heckklappe. Der 9-5 hatte die Option zum 7-Sitzer, was leider niemals in Serie ging. In der Heckklappe gibt es eine Kindersicherung und eine Innenöffnung für die hinten sitzenden Passagiere. Das Detail verschwand rasch, wesentlich länger hielten sich die Leuchten in der Heckklappe. Zwei Lampen sorgten für Licht in der Ladezone, zwei weitere Leuchten in Rot warnten den fließenden Verkehr. Auch sie wurden später ersatzlos gestrichen.

Genau wie der ausziehbare Boden im Gepäckabteil, den Saab als erster Hersteller in Europa anbot. Oder die Ausstiegsleuchten hinten in den Türen. Das Echtholz im Armaturenbrett wurde später gegen Plastik getauscht, und um den Schaltknauf oder Automatikhebel herum war es nur noch als Zubehör lieferbar.

Viele Jahre überlebt haben die doppelten Sonnenblenden und der schönste Getränkehalter der Welt im Armaturenbrett. Er spielt vollendete Getränkehalter-Origami und begeistert mit seiner Grazilität noch heute und für alle Zeit. Das Leder im 9-5 war, im Gegensatz zum 9000, kein schottisches Nobelfabrikat mehr. So viel Oberklasse sollte es nie mehr in einem Saab sein, aber in den ersten Jahren war es dick und wertig genug,  um auch nach langer Zeit noch Freude zu machen. Später wurde es dünner und dünner, Chrombrillen Fahrer können es täglich fühlen.

Ventilierte Sitze. 1997 eine Weltneuheit.

Die bequemen, plüschigen Armauflagen in den Türeinsätzen wurden irgendwann von günstigem Kunstleder abgelöst, die Zahl der Ausstiegsleuchten in den Türen auf zwei reduziert, die Fernentriegelung der Tankklappe verschwand. Immer an Bord blieben die aktiven Kopfstützen, immer gab es als Aufpreis die ventilierten Sitze. Sie verhalfen damit dem 9-5 zu Oberklasse-Charakter.

Der 9-5 blieb, über seine ganze Bauzeit hinweg, ein großartiges Auto mit Spaßpotenzial. Die Sparorgie, von 1997 bis 2010, steht für das Verhältnis der amerikanischen Eigentümer zu ihrer schwedischen Investition. Weniger als 10 Jahre nach der Komplettübernahme gab es die erste Rekonstruktion, nicht viel später den endgültigen Ausstieg von GM. Saab 9-5 mit dem Traditionsgrill sind heute günstig zu bekommen. Selbst sehr gute Fahrzeuge sind selten teurer als 5.000,00 €, sie bieten all die netten Kleinigkeiten, die es später nicht mehr gab.

21 thoughts on “Saab 9-5. All die netten Kleinigkeiten.

  • Danke für den tollen Beitrag. Vermisse unseren 9-5 Kombi, ein Bruder von Paul, sehr. Wir wurden Opfer eines Auffahrunfalls und das verkraftete das Chassis nicht. Der Aero-Kombi in schwarz der ersteb Generation war seit der Einführung mein Lieblingsauto und ich bin froh, all die netten Kleinigkeiten erlebt haben zu dürfen. Diese Details waren echt gross!

  • All die netten Kleinigkeiten sind bei meinem 2002er Kombi 2.3t noch verbaut.

    Allerdings blieb ich nicht von einer bösen Nettigkeit (mit Sicherheit ist es GM geschuldet) verschont: Die 3 Kunststoffabdeckungen des Heckklappenausschnitts waren am zerbröseln.
    Nun Dank 1-2-3 habe ich gute alte drin.

  • Sehr schön geschrieben! Tom, wie so häufig ist es einer Deiner Artikel über die kleinen Saab-Eigenheiten im Kontext mit der allgemeinen Saab-Entwicklung sowie der der gesamten Industrie, der mich begeistert…
    Für mich persönlich auch schön, dass die beiden “Mauerblümchen” 902 und 931 in diesem Zusammenhang Erwähnung finden, als letzte Schrägheck-Reihe, die Saab je in Serie gebaut hat, bevor GM’s Marktforschung dieser Karosserieform den Garaus bereitete. Regelmäßig geht es beim Thema Saab-Schrägheck um 901 und 9000 CS, um dann das Fehlen bei 951 und 932 zu beklagen: Die Lücke dazwischen ist bei allem bereits Anfang der 90er vorhandenen GM-Einfluß eine Beachtung wert (wie Du in den entsprechenden Youngtimer-Artikeln auch heraus gearbeitet hast)!

  • Ich finde den 9-5 immer wieder total genial zu fahren. Wissend, dass ich ab diesem Jahr einen Geschäftswagen fahren werde, konnte ich mir nicht so recht vorstellen, den 9-5 dafür herzugeben. Stattdessen habe ich den vorhandene 9-5 Aero mit Automatik gegen einen 9-5 Aero mit HirschTuning und Schaltgetriebe getauscht. Der Wagen ist pure Freude und ich lasse dafür ab und an den Geschäfts-V60 gerne stehen. Irgendwann, so wage ich zu vermuten, wird der 9-5 sein Mauerblümchendasein ablegen, spätestens dann, wenn es nicht mehr viele auf den Straßen geben wird. Vor diesem Hintergrund fand ich auch die “Paul-Aktion” spannend und habe mich sehr darüber gefreut. Denn ich finde auch den 9-5 sehr erhaltenswert.
    Für mich sind aber nach wie vor die 2004/2005-er 9-5 SC Aero die schönsten der Baureihe – in schwarz mit getönten Scheiben ab der B-Säule sehr stimmig.

  • Gute Idee! Wir lassen den TTIP-Befürwortern mal einen späten 9-5 zur praktischen Erprobung dar, schließlich ist dieses Modell sozusagen der dreidimensionale Prototyp des politischen Konstruktes…

  • die Heckklappenleuchten sind cool. Kann man die nachrüsten?

    • Ich denke ja. Sollte machbar sein, sind nur eine Birne jeweils rechts und links, Strom kann man in der Klappe abzapfen. Evenuell die Klappe eines “Schrottfahrzeugs” ausschlachten?

      • Auf EBay werden schwunghaft Heckklappen _ohne_ diese Verkleidung angeboten, aber nicht die Verkleidungen. Komisch. Womöglich alles ausgeschlachtete zum Nachrüsten von Chrombrillen?!

      • Das funktioniert sehr einfach. Ich habe mir bei einem meiner vielen Schwedentrips bei returbilen eine entsprechende Heckklappenverkleidung an einem 9-5 abmontiert. Den Anschluss habe ich von der Deckenleuchte im Kofferraum genommen – einfach ein Kabel von dort durch die Kabelführung an der Heckklappe ziehen und verbinden. Aber aufpassen: Die ganzen Kunststoffklipse und Verkleidungen mit viel Vorsicht lösen, damit keine Laschen etc. abbrechen.

  • An dem Verfall von SAAB ist wieder mal deutlich zusehen, das die Amerikaner-GM Schuld am Untergang von SAAb sind. Eine gute und wohl die beste Marke mußte einfach verschwinden. Deshalb: Hände weg von TITP.

  • Auch wenn ich mit meinem 2006er Aero auf einige “Frühzeit Specials” verzichten muss, bin ich trotzdem zufrieden. Klar einige Knarz- und/oder Klappergeräusche haben die frühen 9-5er vielleicht nicht, aber insgesamt kann ich über die Qualität nicht klagen. Insbesondere die Elektrik hat noch keinerlei Ausfälle produziert und die doppelten Sonnenblenden sind wirklich sehr hilfreich. Der Aero Motor und die “nur” fünfstufige Automatik passen prima zusammen. Frage mich oft, warum es heute mindestens sieben, acht oder noch mehr Gänge nötig hat. Viele der heutigen “Premium Autobauer” handeln da wohl der der Devise: “Alles wird besser, doch nichts wird wirklich gut!”

    • Absolut richtig. Aero und Automatik sind ein Traum. Die 5-Stufen passen prima und da ist es egal ob Chrombrille oder nicht. Ausserdem ist das Fahrwerk der späten Modelle besser.

  • Das ist das Dilemma des 9.5. Ein eigentlich großartiges Auto, das durch sinnloses Sparen an der falschen Stelle kaputt gemacht wurde. (Ich hatte mich dazu auf meinem Blog ja schonmal ausgekotzt.) Der 9-5 ist ein Saab im Konjunktiv. Hätte, wäre, könnte… Schade.

    Die frühen 9-5 sind noch leidlich hübsch verarbeitet, dafür technisch fragil; die späten technisch brauchbar, fühlen sich aber zu sehr nach GM-Billigschund an.
    Eigentlich bräuchte man einen frühen 9-5, in den man die Technik eines späten setzt. Oder einen späten, in den man die Innenausstattung eines frühen verpflanzt….

    • Das “technisch fragil” lasse ich nur gelten, wenn man den 9k als Vorbild nimmt. Ein 9-5 mit regelmässigem Service und allen Verbesserungen ist nach heutigen Maßstäben ein robustes Auto. Was fehlte war konsequente Modellpflege. Leider.

      • Ich hatte drei 9000, sechs 900, zwei 90, und außerdem zwei w123 und einen w126. Mag sein daß meine Maßstäbe da etwas verschoben sind… aber für mich ist der 9-5 eindeutig fragil. Ok, vielleicht ist dann für mich auch einfach jedes moderne Auto fragil.
        Ich habe meinen 951 jetzt seit 7000km und traue ihm immer noch nicht. Mit dem Schneewittchen würde ich mich jederzeit zu einer Polarkreistour aufmachen, beim 9-5 würde ich zögern. Und zwei Drosselklappen und eine DI in den Kofferraum packen. Und eine Schutzbriefversicherung abschließen…

        • Das wird wohl so sein. 9k, W123 etc… sind eine andere Liga. Autos, die konstruiert wurden um dem Kunden die optimale Gegenleistung für sein Geld zu liefern. Das ist Ewigkeiten her. Zwischen 9k und 9-5 liegen mehr als eine Dekade in der sich die Autowelt radikal wandelte.
          Du wirst den 9-5 mit anderen Augen sehen, wenn Du dich mit einer moderen 3-Zylinder Downsizing Edition auseinandersetzt. Was aktuell in Massen auf unseren Strassen unterwegs ist. Dann plötzlich wirst Du im 9-5 den W123 der späten 90er sehen…

      • Richtig, DI und KWS in den Kofferraum für den Fall der Fälle und gut ist es.

  • …. ventilierte Sitze waren in unserem ehem. 9-5 SC arc von 2002 “automatisch notgedrungen” mit dabei (wollten das damals eigentlich gar nicht haben).

    Aber seitdem ist das eine Option, auf die ich eigentlich NIE mehr verzichten möchte (würde eher an Navi, Soundsystem oder Leistung sparen)!!!

    Der aktuelle Saab hat zum Glück auch ventilierte Sitze (wenn auch schwächer als im alten). 🙂

  • Schade, dass es kein Schrägheck gegeben hat und bestimmt hätte sich auch ein großes Cabrio gut gemacht.
    Und trd. wächst langsam der Wunsch nach dem erste SC der Schweden…nun müssten bloß noch die Finanziers überzeugt werden…
    Vielleicht sollte man wirklich zuschlagen, solange er noch günstig zu haben ist.

  • Hallo, Tom, ja wieder sehr schön zusammen gefasst. Und ich kann das nur bestätigen, da ja bei uns ein 2002er und ein 2009er Aero zu Hause ist, sind die Unterschiede immer direkt vor Augen.
    Der 2002er Aero ist mittlerweile zum Lieblingsauto der Familie avanciert (der 9000er fährt eh außer Konkurrenz). Wer kann, sollte sich so etwas noch besorgen. So was wird sicher nie wieder gebaut……

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